Full text: Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten.Zweiter Band. 1905. (2)

Diebstahl. 339 
Um einen Dieb zu ermitteln oder zu überführen, muß man auch etwas von der 
Psychologie, von dem Gemütscharakter des Diebes wissen. Die Absicht 
des Diebes ist darauf gerichtet, sich ohne Arbeit einen Gewinn zu verschaffen; 
das kann gelegentlich an der Hand eines Falles, es kann wiederholt, gewohnheits- 
mäßig und gewerbsmäßig geschehen. Grundcharakterzüge des gewohnheits= oder 
gewerbsmäßigen Diebes sind daher meist Arbeitsscheu und Leichtfertigkeit. In 
dieser Leichtfertigkeit stiehlt der Gewohnheitsdieb auch bei jeder günstigen Gelegenheit 
Sachen von keinem bedeutenden Werte, die er gar nicht augenblicklich verwerten will 
und kann, aber später schon einmal gebrauchen zu können gedenkt. Hierdurch 
erklären sich viele Rückfallsdiebstähle an geringwertigen Gegenständen. Leichtfertigkeit ist 
fast immer ein nicht auf Bosheit, sondern auf Gutmütigkeit deutender Charakter. 
Der Boshafte ist sich seiner Ziele zu sehr bewußt, als daß er leichtfertigen Sinn 
aufkommen lassen könnte. Daher sind die meisten Diebe mehr gutmütigen Charakters. 
Daß der Dieb meist nicht böswilliger Natur ist, zeigt sich, wenn er auf der Tat 
betroffen wird. Nur ganz selten vergreift er sich an seinen Ueberraschern; höchstens 
dann, wenn sie ihm persönlich zu Leibe rücken. Er läßt sonst schnell alles im Stich, 
wirft sogar die Diebesbeute, die er schon in der Gewalt hat, auf der Flucht wieder weg. 
Die Leichtfertigkeit und Gutmütigkeit der Diebe zeigt sich auch nach Verübung des 
Diebstahls in der Verwertung des gestohlenen Gutes. Sachen, die der Dieb nicht 
selbst gebrauchen oder absetzen kann, wirft er weg oder verschenkt sie. Das aus 
der Diebesbeute erlöste Geld vertut er möglichst sofort und möglichst schnell. Man 
ist manchmal erstaunt, wie sinnlos das Geld dann verschleudert wird. Man hat 
ja seine Finger, sofort neues Geld zu schaffen. Der Dieb verfügt weiter gewöhnlich 
über eine gewisse Herzhaftigkeit. Er muß mit den Händen arbeiten, darf im rechten 
Augenblick nicht zaudern, sondern muß mit kühnem Griffe zugreifen und das ge- 
stohlene Gut schnell in Sicherheit bringen. Er läuft immer Gefahr, erwischt zu 
werden. Die Herzhaftigkeit, die auch der Gelegenheitsdieb braucht, kann sich bei 
einzelnen Charakteren zur Kühnheit und Wagehalsigkeit, auch zur unerhörten Frechheit 
steigern. Daher die kühnen Einbrüche, deren nächtliche und gefahrvolle Ausführung uns 
in Erstaunen setzt. Sieht man dann hinterher die Persönlichkeit des Einbrechers, so möchte 
man ihm die Tat manchmal gar nicht zutrauen. Spricht man mit ihm darüber, so macht 
er gar kein Wesen von der Ausführung. Die Gutmütigkeit und Herzhaftigkeit der 
Diebe führt sie auch leicht zum Geständnisse. Auch Gewohnheitsdiebe gestehen leicht 
auf energische Einwirkung. Die leugnenden Diebe sind mehr die erstmalig und ge- 
legentlich stehlenden. Da wird, um den Diebstahl eines Eimers Kohlen aus ver- 
schlossenem Keller mittels Erbrechens der Tür oder mittels falschen Schlüssels 
zu leugnen, ein ganzes Verteidigungswerk ersonnen. Die Leichtfertigkeit des Diebes 
wächst mit der Uebung im Diebstahl; beim ersten Diebstahl ist sie noch nicht so 
vorhanden. Auch wenn sich mehrere Diebe gelegentlich zusammenfinden und eine 
Bande bilden, wenn sie Nächte lang hintereinander in einer oder mehreren Ort- 
schaften auf dem Lande oder in verschiedenen Stadtteilen und Straßen zahlreiche 
Diebstähle ausführen, in Schankwirtschaften einsteigen, um die Kasse zu entdecken, 
22.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.