Full text: Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten.Zweiter Band. 1905. (2)

340 I. Der exekutive Kriminalbeamte. 
Baubuden erbrechen, um Arbeitszeug und Kleidungsstücke zu erlangen, immer bleiben 
grenzenloser Leichtsinn, mit welchem sie die Diebesbeute zusammentragen und 
verwerten, und Wagehalsigkeit der Grundcharakterzug. Die Wagehalsigkeit findet ja 
auch eine gewisse Befriedigung in sich selbst und treibt zu tollkühnen Experimenten. 
Ein Einbrecher stieg in eine Restauration, wo er vor Jahren bedienstet gewesen war, 
ein und nahm mit genauer Kenntnis der Oertlichkeiten und Gewohnheiten vom 
Nachttische dicht neben den Betten der schlafenden Wirtseheleute die Kassette mit 
dem baren Gelde weg. Es ist zweifellos, daß er bei dieser kühnen Ausführung 
eine innere Befriedigung empfand. So werden alle die Wagehalsigkeiten und 
auch die bodenlosen Frechheiten erklärlich. Der gewohnheits= und gewerbsmäßige 
Dieb ist nicht dumm, er ist weltklug und geschickt. Ein plumper Dieb macht 
keine Geschäfte. Geschicklichkeit kann aber bei einiger Veranlagung leicht 
durch Uebung erworben werden. Am günstigsten liegen die Bedingungen für den 
Spezialisten, den Fahrraddieb, den Ueberziehermarder, den Ladendieb usw. Die 
technischen Kenntnisse jeder dieser Spezialitäten sind wenig umfassender Art. Der 
Fahrraddieb muß Radfahrer sein, um die Beute schnell fortzubringen und sich dort 
einzustellen, wo andere Radfahrer sich einfinden; so hat er zugleich die Gelegen- 
heiten zur Ausführung. Er muß weiter mit den Absatzquellen Bescheid wissen, immer 
stichhaltige Gründe für den Eigentumserwerb und Verkaufsgrund des Rades bereit und 
vielleicht noch einige falsche Legitimationspapiere zur Täuschung des Abnehmers 
haben. Das sind alle Requisiten des Fahrraddiebes, der sich in wenigen Tagen hunderte 
von Mark durch sein Handwerk verdienen kann. Der Ueberziehermarder muß einige 
Uebung in der unauffälligen Wegnahme der Ueberzieher, bei Ueberraschung auf der 
Tat eine gewisse Bestimmtheit im Vorbringen seiner Entschuldigungsgründe bezüglich 
einer Verwechselung und ebenfalls seine Absatzquellen haben. Größer sind schon die 
technischen Fertigkeiten des Taschendiebes, wenn schon ihm das Arbeiten in der 
Menschenmenge und mit einem Gehülfen sein Handwerk sehr erleichtert. Er bedarf 
aber vor allem einer geschickten und geschmeidigen Hand, die zufolge ihrer Beweglich- 
keit sich in der verschiedensten Weise „zusammenlegenlassen“ muß, er bildet gewöhnlich 
auch die linke Hand wie die rechte aus. Der Taschendieb beweist weiter 
größeren persönlichen Mut — weil er sich unmittelbar an die Person des andern 
heranwagen muß. Von den Künsten der Einbrecher wurde schon geredet: Uebung 
im Klettern, Springen, Herablassen, Kraftaufwendungen, Umgang mit falschen 
Schlüsseln und Dietrichen usw. sind hier erforderlich. Der Gelegenheitsdieb beweist 
meist gar keine Fertigkeiten und Vorbildung; er stiehlt eben nur, weil die Gelegen- 
heit ihm alles so handgreiflich entgegen bringt, daß er nur zuzugreifen braucht. So 
sehen wir, daß die meisten Diebe gutmütige, leichtfertige und sogar offene — selten 
verschlossene — Charaktere, also, das ist die Hauptsache, einfache Menschen sind. 
In ihrer Psychologie ist selten ein Rätsel. Verschlagen und schlau sind die Diebe, 
wie schon erwähnt wurde, natürlich auch. Aber Raffiniertheit des Charakters ist 
ihnen bei ihrer Arbeit mit der Hand meist fern. Raffiniert ist eigentlich auch der 
König der Diebe, der Hoteldieb, nicht. Er macht dasselbe an und für sich oft ein-
	        
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