356 I. Der exekutive Kriminalbeamte.
Eine schnellere Untersuchung gewährleistet das Mikroskop oder eine Lupe.
Mit deren Hülfe erkennt man die verschiedenen Farbentöne verschiedener Tinten,
erkennt, ob diejenigen Schriftzüge, welche bei Schriftechtheit über andere Schriftzüge
hinweggezogen sein müssen, auch wirklich diese Lage haben, ob z. B. aus einer 1
eine 4 gemacht worden ist (durch Aufsetzung des spitzen Winkels — auf die 1,
während der Schreiber der 4 den Winkel zuerst zieht), ob Schriftzüge übermalt
worden sind, ob die Teile zusammengeklebter Urkunden Gleichartigkeit des Papiers
aufweisen, ob der Schmutz einer Urkunde über den Schriftzügen liegt, da er ja
meist nach Herstellung der Urkunde im Laufe der Zeit sich eingefunden hat usw.
Der Chemiker ermittelt ebenfalls, ob die ganze Urkunde mit derselben
Tinte und zu gleicher Zeit, also hintereinander, geschrieben worden ist, ob ein
Wasserzeichen im Papier echt, d. h. gleich bei der Fabrikation eingeprägt oder künst-
lich hergestellt worden ist, was unter Ausstreichungen oder Tintenflecken gestanden
hat, ob Rasuren vorliegen und was an Stelle der Rasuren geschrieben gewesen ist,
ob Austilgungen im Texte durch Chemikalien vorgenommen gewesen sind.
Einige Defekte der Urkunde sind aber auch mit dem bloßen Auge
bezw. dadurch wahrnehmbar, daß man die Urkunde an die Fensterscheiben gegen
das Licht hält; so erkennt man z. B. Rasuren, Austilgungen durch Chemikalien (es entstehen
weiß-gelbe Flecken auf dem Papier), Uebermalungen einzelner Buchstaben oder Worte,
verdächtige Durchstreichungen oder Tintenflecke, Abschneiden eines Stückes von der Urkunde,
Alter des Papiers (gelbliche Ränder), Fehlen von Brüchen im Papier, welches nach
der Sachdarstellung gebrochen (im Briefkouvert) gewesen ist, Gleichheit des Papiers
bei zusammengeklebten Urkunden.
Aus vorstehenden Ausführungen ergeben sich auch die Verschiedenheiten
der vorkommenden Verfälschungen: Ziffern (durch Vor= oder Nachsetzung
anderer Ziffern oder Darüberschreiben, wenn aus der 1 eine 4 gemacht wird) und
Worte (durch geschickte Benutzung vorhandener Schriftzüge) werden abgeändert;
ees werden zum Texte der Urkunde unter ihn, neben ihn, zwischen die Zeilen
Zusätze gemacht; echte Schriftzüge werden getilgt durch Radieren oder Salzsäure,
Oxalsäure usw.; ein echter Teil der Urkunde wird ausgeschieden und durch einen
unechten ersetzt (zusammengeklebte Urkunden); es werden teilweise Tinten verwendet,
die erst später zur Erscheinung kommen oder später verschwinden.
Im Anschlusse an die Urkundenfälschung sei der falschen Legitimations-
papiere zum Zwecke des besseren Fortkommens im Sinne von § 363 des St.G. Bs.
gedacht, d. h. um sich durch Ausweis über die persönlichen Verhältnisse Gelegenheit
zu wirtschaftlicher Verbesserung zu verschaffen, z. B. zum Zwecke des Bettelns,
behufs Zulassung zu einer Staatsprüfung, zwecks Erlangung einer Schankkonzession.
In solchen Fällen scheidet also der Begriff der Urkundenfälschung aus. Soll aber
mit dem gefälschten Papier ein bestimmtes Recht erlangt oder ein Dritter in einem
Rechte geschädigt, also nicht bloß ein Ausweis über die Person hergestellt werden,
so liegt Urkundenfälschung vor.