Full text: Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten.Zweiter Band. 1905. (2)

374 I. Der exekutive Kriminalbeamte. 
sind auf blutige Fingerabdrücke hin zu besehen. Es ist weiter zu prüfen, ob die 
Habseligkeiten des Toten alle vorhanden sind, damit man auf das Motiv der Tat 
kommt. Nach mutmaßlich vorhanden gewesenen, aber fehlenden Stücken, z. B. dem 
Hute oder den Stiefeln, ist sorgfältig zu suchen. Der Mörder kann sie in einiger 
Entfernung wieder weggeworfen haben. Handelt es sich um einen Giftmord, so 
sind alle Gegenstände und Gefäße, welche irgend im Zusammenhange mit der Tat 
stehen können, zu besichtigen bezw. zu beschlagnahmen, z. B. auch die Ausleerung 
und das Erbrochene des Toten, verdächtige Pulver und Flüssigkeiten. Ist die 
Persönlichkeit des Toten unbekannt, so ist die Leiche nach Papieren oder anderen 
Sachen zu durchsuchen, welche Aufschluß geben. Aus dem ganzen Befund der Leiche 
und dem Zustande des Tatortes ist auch ein Schluß darauf zu ziehen, zu welcher 
Zeit der Mord verübt worden ist. Der Ort, wo die Leiche liegt, ist manchmal 
auch nicht der Ort der Tat selbst; der Ermordete hat sich noch ein Stück fort- 
geschleppt oder ist vom Mörder an eine andere Stelle gezerrt worden; dann müssen 
genügende Spuren vorhanden sein. 
Weiter sind Zeugen zu ermitteln, welche ungefähr zur Zeit des Mordes am 
Tatorte oder in dessen Nähe sich befunden haben. Die Bewohner benachbarter 
Grundstücke sind zu befragen, ob sie keine Hülferufe gehört und nichts verdächtiges 
wahrgenommen haben. Sind bewohnte Grundstücke zu weit entfernt, so ist zu er- 
mitteln, wer zur bestimmten Tagesstunde am Tatorte vorbeizukommen pflegt, z. B. 
auf dem Wege von oder nach der Arbeit, nach und von der Schule usw. Nötigen- 
falls sind Aufforderungen in den Tageszeitungen zu erlassen. Ist der Mord in 
einem Hause verübt worden, so ist festzustellen, wer zur bestimmten Zeit nach dem 
gewöhnlichen Lebensgange des Toten in seiner Nähe gewesen sein kann; die Haus- 
bewohner, Briefträger, Bäckerjungen, Milchleute, Zeitungsfrauen sind zu befragen. 
Wer ist zuletzt mit dem Ermordeten zusammen gewesen? Mit wem pflegte er zur 
fraglichen Zeit zusammen zu sein? Wohin begab er sich gewöhnlich zu jener Zeit? 
Kommen Hausbewohner oder bei diesen logierende Personen in Frage? 
Bei den Erörterungen in der Richtung nach der Persönlichkeit des Mörders 
geht man am besten von dessen annehmbarem Motiv aus, welches sich ja aus der 
Besichtigung der Leiche und des Tatortes ergeben wird. Fehlen Wertgegenstände, so 
liegt Raubmord vor. Ist eine Frau oder ein Mädchen ermordet worden, so liegen 
meist geschlechtliche Motive vor, wenn nicht Raubmord in Betracht kommt, z. B. 
Eifersucht, verletztes Ehrgefühl, Lustmord, Haß, Rache. Die sonstigen Motive zum 
Mord sind die früher aufgeführten allgemeinen Verbrechensmotive und die Motive 
Geisteskranker (siehe gerichtliche Psychiatrie). Manchmal spiegelt aber der Mörder 
ein falsches Motiv vor, um die Spur von sich abzulenken. Er hat aus Rache 
oder Eifersucht gehandelt, nimmt aber Wertgegenstände mit oder erbricht Behältnisse, 
um einen Raubmord vorzutäuschen. 
Hat man den Beweggrund des Mörders zur Tat annehmbar festgestellt, so 
kann man in Verbindung mit dem übrigen Befunde der Leiche und des Tatortes 
weiter schließen, in welchem Personenkreise man den Täter etwa zu suchen hat.
	        
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