Full text: Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten.Zweiter Band. 1905. (2)

Mord bezw. Totschlag. 375 
Hierüber können auch bei der Tat gebrauchte Werkzeuge und die Art der Verletzung selbst, 
wenn z. B. Stiche oder Schnitte von einem Fleischer herrühren, Anhaltspunkte gewähren. 
Aus dem Beweggrunde kann man auf den Charakter des Mörders schließen. Ob eine 
Person eines Mordes fähig sei, beurteilt sich aber nicht immer nach deren Vorleben. 
Mörder sind vielfach völlig unbestraft. Aber es gibt doch Charaktereigenschaften, 
z. B. Jähzorn und Willensenergie, Gefühllosigkeit hinsichtlich des eigenen und fremden 
Lebens und Sterbens, welche auf die Person des Mörders hinweisen können. Alle 
diese mutmaßlichen Eigenschaften des Täters sind zu seiner Ermittelung zu ver- 
werten. Die Ausführung der Tat ergibt auch, ob der Mörder mit den Räumlich- 
keiten, Gewohnheiten, Aufbewahrungsorten seines Opfers bekannt war; dann ist er 
in dessen Bekannten= oder Verwandtenkreisen zu suchen. Bei Besichtigung der 
Wohnräume des Ermordeten, über dessen Leben und Treiben vielleicht nicht zu viel 
bekannt ist, muß der Kriminalbeamte verstehen, auch aus dem Milieu, in welchem 
der Tote sich bewegte, Anhaltspunkte für die Tat und den Täter zu gewinnen. 
Jede Persönlichkeit drückt ihrer leblosen Umgebung gewissermaßen ihren eigenen 
Charakter auf. Aus den Möbelstücken, aus sonst aufgestellten Gegenständen, ans 
Bildern an den Wänden, aus Photographien, aus Büchern und Musikalien kann 
man den Charakter des Wohnungsinhabers und vielleicht auch seine Schicksale kennen 
lernen. Ein besonderes Studienfeld bietet in manchen Fällen der Schreibtisch einer 
Person, weil hier sich alles zusammenfindet, was ihm geistig und gemütlich nahe- 
geht. Aus namentlich bei älteren Leuten zahlreich aufgestellten Photographien seiner 
Angehörigen und Bekannten, aus der Aufstellung der einzelnen Photographien und 
Gruppen von solchen, z. B. welche in der Mitte, welche rechts davon, welche links, 
welche vorn und welche dahinter stehen, kann man herausfinden, in welchem Ver- 
hältnisse der Ermordete zu den einzelnen Personen oder Gruppen stand. Diese 
Pfoychologie der leblosen Umgebung kann manchmal einen Fingerzeig geben. 
Wenn die Erörterungen nach der Person des unbekannten Mörders sich in 
die Länge ziehen, so müssen Berichte über die bisherigen Ergebnisse in den Tages- 
zeitungen gebracht werden, selbst auf die Gefahr hin, daß der Täter hierdurch in 
irgend welcher Beziehung gewarnt wird. Er kann z. B., wenn in seinem Signale- 
ment Erkennungszeichen in Bartwuchs oder Kleidung gegeben sind, sich den Bart 
verändern oder abschneiden und die Kleidung wechseln. Sowie es sich aber darum 
handelt, für irgend welchen wichtigen Punkt in den Erörterungen das Gedächtnis 
eines unbekannten Zeugen anzuregen, müssen Notizen unter das Publikum gebracht 
werden. Es darf behauptet werden, daß eine Reihe von Morden nur deshalb nicht 
aufgedeckt worden ist, weil es das Publikum an der unbedingt von ihm zu fordernden 
sorgfältigen Mitarbeit hat fehlen lassen. Gewiß werden der Polizei andererseits 
eine Menge falscher Spuren zugetragen, welche viel Arbeit machen und die Beamten 
oft irreleiten können, weil sie jedenfalls niemals unbeachtet und ungeprüft bleiben 
dürfen. Aber in vielen Fällen haben sich maßgebende Zeugen nicht gemeldet. Der 
Mörder wird, wie die meisten Menschen, einen regelmäßigen Verkehrskreis haben, 
innerhalb dessen er sich bewegt und in welchen er früher oder später nach der Tat
	        
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