408 I. Der exekutive Kriminalbeamte.
häufen sich seine Rechtsbeschwerden, sie werden immer länger und eingehender, die
Unterstreichungen einzelner Sätze oder Worte werden zahlreicher, die Anschuldigungen
immer schwerer: die Zeugen schwören Meineide, der Richter beugt das Recht. In
jeder Zeile des Geschreibsels tritt die eingetretene Urteilslosigkeit hervor.
Wir kommen zu der Gruppe der sogenannten komplizierten Seelen-
störungen, bei welchen Störungen sowohl der Verstandestätigkeit als des Gemütes
abwechselnd auftreten. Hierher rechnet Cramer die epileptischen, die hysterischen,
die traumatischen und degenerativen Seelenstörungen. Irn allen Fällen
entwickelt sich die Krankheit zufolge einer Veränderung des Gehirns.
Die Epilepsie, Fallsucht, läßt sich als Krankheit durch das Vorhandensein
typischer epileptischer Krampfanfälle oder sogenannter epileptoider
Symptome nachweisen Der epileptische Anfall läßt den Kranken, der von
Sinnestäuschungen und Angstempfindungen heimgesucht wird, unter Ausstoßung eines
gellenden Schreies zusammenstürzen. Von diesen Stürzen weist der Epileptiker auch
öfter Narben an seinem Körper auf. Nach dem Hinstürzen treten Streckkrämpfe auf,
welche in Muskelkrämpfe übergehen. Darauf folgt ein Stadium der Bewußtlosigkeit,
aus welchem der Kranke nach einem festen Schlafe zu sich kommt. Die Anfälle weisen
natürlich nicht immer alle angeführten Einzelerscheinungen auf; die eine oder die andere
kann fehlen. Während des Anfalls hat der Kranke ein verändertes, nicht immer ein
aufgehobenes Bewußtsein; lückenhafte Erinnerung ist nach dem Anfalle oft vorhanden.
Epileptiker sind meist stark belastet; Vater oder Mutter sind epileptisch gewesen, der
Kranke hat eine starke Kopfoerletzung erlitten usw. Die epileptischen Krampfanfälle
setzen meist schon in der Kindheit oder mit der Geschlechtsreife ein. Ist der Epileptiker
zugleich Alkoholiker, so nimmt die Zahl der Anfälle zu.
Als die sogenannten epileptoiden Zeichen, welche ebenfalls auf eine
epileptische Seelenstörung schließen lassen, treten der sogenannte epileptische Schwindel,
ein Anfall in ganz gelinder Form, längere Anfälle mit Herzklopfen, Kopfschmerzen
und Schwindelempfindung, nächtliches Aufschrecken und Angstanfälle auf.
Ein Epileptiker kann sowohl die typischen epileptischen Anfälle als auch die
epileptoiden Zeichen aufweisen.
Die Erscheinungen der epileptischen Seelenstörung sind nun erstens eine fort-
schreitende Veränderung der ganzen Geistesverfassung des Kranken,
mit welcher moralische Mängel (Neigung zum Lügen), krankhafte, durch Alkohol
noch erhöhte Steigerung der Affekte bis zu sinnloser Wut und Gewalttätigkeit und
zuletzt Schwachsinn eintreten. Eine zweite Erscheinung der epileptischen Seelenstörung
sind längere oder kürzere Zeit andauernde Seelenstörungen im
Charakter der Melancholie oder Manie oder Paranoia; die dritte Erscheinung sind
vorübergehende Bewußtseinsstörungen, bei welchen das Bewußtsein ver-
ändert, nicht aufgehoben ist, in der Dauer von Minuten bis zu Stunden. Diese
Zustände des kranken Innenlebens nennt man Dämmerungszustände. Die
aufgeführten drei Erscheinungen der epileptischen Seelenstörung können bei einem
Kranken einzeln, neben= oder nacheinander auftreten.