Gerichtliche Psychiatrie. 409
Da bei keinem Epileptiker die erwähnten Dämmerungszustände von vornherein
ausgeschlossen werden können, ist die Zurechnungsfähigkeit besonders genau zu prüfen;
der Epileptiker kann im übrigen ein geistig sehr hoch stehender Mann sein (Julius
Cäsar). Epileptiker sind zu Dieben, Betrügern, Päderasten, Brand-
stiftern, Urhebern von Gewalttaten, wie Körperverletzung und
Notzucht, und Mördern geworden. Vielfach neigt der Epileptiker zum Ex-
hibitionismus, d. h. zum Entblößen seiner Geschlechtsteile auf offener Straße usw.
Aber auch der Paralytiker, der Paranoiker, der Schwachsinnige, Alkoholiker und
Altersblödsinnige sind vielfach Exhibitionisten. Es gibt aber auch Zurechnungsfähige,
welche exhibitionieren; die krankhafte Grundlage muß also, wenn 8 51 des Str.G.Bs.
angewendet werden soll, nachgewiesen werden.
Eine andere Seelenstörung ist die hysterische. Sie ist eine Erkrankung
der Vorstellungen. Der Kranke leidet an gesteigerter Einbildung und Erregbarkeit.
Auch der Hysterische ist an gewissen Anzeichen erkenntlich. Er leidet leicht an
stechendem Kopfschmerz in der Gegend der großen Fontanelle, an Schmerzhaftigkeit
des Bauchfells, an Brechen, plötzlichem Verlust der Sprache usw. Der Hysterische
leidet auch an Anfällen mit Verkrümmungen des Körpers nach rückwärts oder mit
wilden drehenden Verkrümmungen des Körpers. Bekannt sind die Schluchz-, Wein-
und Lachkrämpfe der Hysterischen. Der Hysterische ist manchmal zugleich epileptisch,
umgekehrt der Epileptiker zugleich hysterisch.
Gekennzeichnet wird der Hysterische durch übergroße Launenhaftigkeit und
Reizbarkeit. Die Ursache kann eine ganz geringfügige sein. Er läßt sich außer-
ordentlich leicht beeinflussen und leidet an Gedächtnisfälschungen. Bei Frauen und
Mädchen ist die Reizbarkeit in der Periode noch gesteigert. Die moralischen Urteile
des Hysterischen können nach und nach minderwertig werden. Im übrigen leidet er
wie der Epileptiker an vorübergehenden Bewußtseinsstörungen (die sogenannten
Dämmerungszustände), an Störungen im Charakter der Melancholie, Manie und
Paranoia, und schließlich an einer umfassenden hysterischen Seelenstörung, bei welcher
ethische Defekte und Verfolgungsideen auftreten. Die Hysterischen sind wegen ihrer
unzuverlässigen Auffassungskraft schlechte Zeugen. Bei Konflikten mit dem Straf-
gesetz kommt es zu Beleidigung, Verleumdung, Körperverletzung,
Sachbeschädigung, groben Unfug, Freiheitsberaubung, faschen
Anschuldigungen, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Betrug,
Urkundenfälschung, Kindesraub, Meineid, Kindestötung, Brand-
stiftung, Mord.
Die sogenannte traumatische Seelenstörung wird bedingt durch eine
schwere Schädigung des Gehirns nach vielleicht vor Monaten oder Jahren erlittenem
Trauma (Kopfverletzung, erlebtem Unglücksfall (Eisenbahnunglück), heftigem Schreck usw.).
Es treten fortschreitende moralische und geistige Mängel auf. Große Reizbarkeit
und Empfindlichkeit gegen Alkohol stellen sich ein. Häufig finden sich auch hysterische
und epileptische Anzeichen. Der Traumatiker leidet an Verwirrungszuständen mit
Bewußtseinsausschaltungen. Er neigt, wenn er gegen das Strafgesetz verstößt, zu