Full text: Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten.Zweiter Band. 1905. (2)

Gerichtliche Psychiatrie. 411 
Abnahme der Urteilskraft. Qnälende Kopfschmerzen stellen sich ein, die Sehkraft 
läßt nach, Verlust der Sprache kann für Momente eintreten. Im weiteren Verlaufe 
der Krankheit tritt eine völlige Charakterveränderung auf. Die moralischen Urteile 
schwinden, die Arbeitsfähigkeit im Beruf und Gewerbe geht zurück. Bei einigen 
Paralytikern treten Größenideen auf; bei anderen zeigen sich Teilnahmlosigkeit und 
Stumpfsinn. Heimsuchung durch die paralytischen Krampfanfälle, Zuckungen oder 
Konvulsionen, findet statt. Wenn nicht vorher der Tod eintritt, bildet den Schlußakt 
der Krankheit völliger geistiger Verfall. Die Krankheit schreitet nur allmählich vor- 
wärts und wird oft anscheinend durch Besserungszustände unterbrochen. Straf- 
rechtlich neigt der Paralytiker zu Diebstahl, Betrug, Brandstiftung, Mein- 
eid, Unzucht, Sittlichkeitsverletzung. 
Nicht unähnlich der Paralyse ist die ebenfalls hierher gehörige sogenannte 
senile Seelenstörung. Eine organische Veränderung des Gehirns wird durch 
dessen mangelhafte Ernährung verursacht. Alle Erscheinungen, welche dem gesunden 
Greisenalter eigentümlich sind, zeigen sich krankhaft gesteigert. Gedächtnisschwäche, 
ängstliche Verstimmungen, Wahnvorstellungen treten auf. Perverse Geschlechtstriebe 
zeigen sich, es kommt zu Zuständen mit Verwirrtheit und Aufregung. Die 
Intelligenz nimmt ab, völlige Verblödung kann eintreten. Der Kranke neigt vor 
allem zu Verfehlungen gegen die Sittlichkeit, aber auch zu Beleidigung, 
Verleumdung, Betrug, Urkundenfälschung, Brandstiftung und 
Meineid. 
Organische Erkrankungen des Gehirns, welche für das Strafrecht 
seltener in Betracht kommen, treten u. a. nach Schlaganfällen, Hirnsyphilis und 
lokalisierten Hirnherden (Blutungen, Erweichungen, Abszesse usw.) auf. Die hervor- 
gerufenen psychischen Störungen können vorübergehende oder dauernde und fortschreitende 
sein. Große Reizbarkeit und geringe Widerstandsfähigkeit gegen Alkohol sind vorhanden. 
Die Gruppe der sogenannten Intoxikationspsychosen begreift diejenigen 
Seelenstörungen, welche auf grund einer meist chronischen Vergiftung des Gehirns 
auftreten. Als Gifte kommen in Betracht Alkohol, Morphium, Cocain, Aether, 
Kohlenoxydgas, Blei usw. 
Am häufigsten ist die Vergiftung durch Alkohol. Welches Maß von 
Alkohol im einzelnen Falle die Vergiftung hervorbringt, hängt von der Widerstands- 
fähigkeit des Individuums ab. Daß verschiedene belastete Naturen gegen Alkohol 
geringe Widerstandsfähigkeit besitzen, ist bereits mehrfach erwähnt worden. Menschen, 
welche gegen Alkoholgenuß keine Widerstandsfähigkeit besitzen, was durch Zeugen 
nachgewiesen werden kann, erleiden schon durch Genuß von wenig Alkohol eine 
Gehirnvergiftung. Der Rausch eines solchen nicht widerstandsfähigen Alkoholver- 
gifteten ist krankhafter Natur; die Straftat, welche in solchem Zustande verübt wird, 
ist milder zu beurteilen. 
Von chronischem Alkoholismus spricht man, wenn Personen, welche 
gegen Alkohol widerstandsfähig sind, fortgesetzt dem Alkoholgenusse fröhnen. Folgen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.