Full text: Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten.Zweiter Band. 1905. (2)

Allgemeine Verhaltungsvorschriften. 423 
Augen geführt, daß der Mensch dem Irrtum unterliegt und alles menschliche Schaffen 
und Tun unvollkommen ist. Diesen Maßstab hat er auch an die Handlungen 
anderer anzulegen und, wenn ihm die Straßenpolizeiordnung das Einschreiten nötig 
macht, bei seiner Beurteilung festzuhalten. Insbesondere darf der Exekutivdienst 
nicht in eine überflüssige Belästigung und Chikane des Publikums aus- 
arten. So hat ein preußischer Minister mittelst Verfügung vom 27. August 1903 
darauf hingewiesen, daß Radfahrer nicht lediglich, wie geschehen war, deshalb an- 
gehalten werden sollten, um sich über Mitführung der Radfahrkarte auszuweisen, daß 
vielmehr die Ausstellung der Radfahrkarten in der Hauptsache deshalb erfolge, um bei 
irgendwelchen Uebertretungen der den Verkehr mit Fahrrädern auf öffentlichen Straßen usw. 
erlassenen Verordnungen die Persönlichkeit des Radfahrers sofort feststellen zu können. 
Sôflichreit. 
Eine Eigenschaft, welche in deutschen Landen nach der Auffassung des 
Publikums bei den polizeilichen Exekutivbeamten vielfach vermißt wird, ist die Höf- 
lichkeit. Gewiß soll der Beamte, wie schon gesagt wurde, bestimmt und 
energisch sein. Immerhin ist der Ton des Unteroffiziers gegenüber dem Rekruten 
im bürgerlichen Leben nicht angebracht. Es wird ganz darauf ankommen, wem 
gegenüber und aus welchen Ursachen der Beamte eine Erklärung abzugeben hat. Es 
ist ganz etwas anderes, ob der Schutzmann im lebhaften Straßenverkehr einem schnell 
vorüberfahrenden Kutscher, der nicht ordnungsgemäß fährt oder dergl., einen Hinweis 
zuzurufen hat, was selbstverständlich mit lauter Stimme und energisch erfolgen muß, 
wenn der Zuruf Erfolg haben soll, oder ob ein einzelner Passant darauf aufmerksam 
zu machen ist, daß er beispielsweise auf der falschen Seite einer Brücke geht. Wird 
auch dieser Passant so laut wie der Kutscher auf dem Bocke angerufen, obwohl der 
Beamte ganz nahe zu ihm herantreten kann, so fühlt sich der Passant mit Recht in 
der Oeffentlichkeit bloßgestellt, und sein Versehen ist doch meist durch Nichtkenntnis 
der Vorschrift oder Zerstreutheit entschuldbbar. Ohne daß sich der Beamte 
einer verschiedenen Behandlung der verschiedenen Stände und Bevölkerungsklassen 
schuldig machte, muß er doch aber auch darauf achten, daß die verschiedenen Be- 
völkerungsschichten tatsächlich verschiedene Umgangsformen haben, an welche sie 
gewöhnt sind und deren Außerachtsetzung sie verletzt. Der gewöhnliche Mann, der 
selbst im derben Ton und Ausdrucke sich bewegt, erwartet auch selbst keine andere 
Ansprache. Der feinere Mann fühlt sich durch eine derbe Ansprache mit Recht verletzt. 
Insbesondere ist bei Hinweisen auf harmlose Verletzungen der Straßenpolizeiordnung 
mit Rücksicht zu verfahren. Daß allgemeine Zurufe an das große Publikum, z. B. „Nicht 
stehen bleiben“, „Bitte, weiter gehen“, mit erhobener Stimme gesprochen werden müssen, ist 
natürlich. Im groben Tone brauchen sie deshalb aber nicht gerufen zu werden. Aus- 
drücke, wie: „Ich bitte, nicht stehen zu bleiben, sondern weiterzugehen“ verfehlen auf 
das Publikum in normalen Fällen niemals ihre wohltuende und praktische Wirkung. 
Damen. 
Vielfach erfährt die deutsche Exekutivmannschaft seiten unserer Damen eine 
abfällige Kritik. Diese sind ja den militärischen Ton ganz und gar nicht gewöhnt
	        
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