Ueberwachung von Versammlungen. 483
eine Disposition, geschweige die Entwickelung des Gedankenganges war kaum heraus-
zufinden. Mag dieser Umstand auch zum Teil mit auf mangelnder Befähigung,
einen vorgetragenen Ideengang in geeigneter (kurzer und doch verständlicher) Weise
wiederzugeben, gelegen haben, so ist doch dieser Mangel meist gepaart mit dem
anderen, eine Ideenfolge überhaupt richtig zu erfassen und innerhalb derselben
den einzelnen Gedanken herauszuschälen. Das will auch gelernt und geübt sein,
wenn es nicht angeboren ist. Es kommt ja hinzu, daß der Ton, in welchem
ein Satz vom Redner gesprochen wurde, die Gesten, mit welchen er ihn begleitete,
daß der vorhergehende oder nachfolgende Satz und Gedanke einem Ausspruche eine
ganz andere Bedeutung verleihen können. Handelt es sich nun darum, festzustellen,
ob in einer Aeußerung des Redners oder sonstigen Sprechers eine Aufforderung
oder Anreizung zu einer strafbaren Handlung, zu einer sonstigen Gesetzesübertretung
oder unsittlichen Handlung zu erblicken ist, so wird gerade bei der schon hervor-
gehobenen Kompliziertheit der in Frage kommenden Straftaten und bei dem weiten
Begriffe der unsittlichen Handlungen ein haarscharfes Erfassen der zu beanstandenden
Aeußerung erforderlich. Am sichersten ist, die Aeußerung, ehe ein Einschreiten erfolgt,
zu Papier zu bringen. Hierbei muß man sich selbst vergewissern, ob man richtig
verstanden hat. Die Aeußerung wird meist kurz sein, so daß ein Zeitverlust nicht
entsteht. Findet der Beamte eine Aeußerung verdächtig, getraut sich aber — vielleicht
bei der ihm nicht geläufigen Wahl der Ausdrücke, der Kompliziertheit des Satzbanes
der oratorischen Periode usw. — ihren Inhalt und Sinn nicht sofort zu beurteilen,
so steht nichts entgegen, daß der Beamte zur näheren Feststellung die Wiederholung
der betreffenden Stelle verlangen kann. Wird sie freilich verweigert, so hat der
Beamte kein Zwangsmittel. Das Verlangen der Wiederholung ist also deshalb
tunlichst zu vermeiden und darum änußerst scharf aufzumerken. Der Beamte muß sich
seinen Platz auch so wählen, daß die Akustik des Saales ihm das Hören der ge-
sprochenen Worte in ausgezeichneter Weise vermittelt.
Wie gesagt, falsche Auffassung der Worte und Gedanken des Redners sind
mißlich. Löst der Beamte auf grund seines Mißverständnisses eine Versammlung
auf, nachträglich auf erhobene Beschwerde aber wird der Grund der Auflösung als
hinfällig crachtet, so ist das geschehene Unrecht nicht wieder gut zu machen. Die
Versammlung ist und bleibt aufgelöst. Es ist nicht immer möglich, sie wieder ein-
zuberufen und den Redner dann zu Ende sprechen zu lassen. Die Versammlungs-
teilnehmer und ihre Parteigenossen entnehmen aus solchem Verhalten der Polizei
aber nur Aogitationsstoff und erwecken womöglich die Meinung, es komme der
Polizei nur darauf an, die Versammlungen der Partei überhaupt zu verhindern und
auf die Gesetzlichkeit der Mittel weniger Wert zu legen.
Aus demselben Grunde soll der Polizeibeamte bei seiner Kritik einer rednerischen
Aeußerung auch ohne Voreingenommenheit, sondern ruhig, klar, vernünftig und
objektiv urteilen. Er soll nicht in jeder Aeußerung auf einen Grund zur Ver-
sammlungsauflösung zu treffen — hoffen. Daß der Redner in erhobenem, oratorischem
Tone spricht und daß ihn Witz, Ironie, Satire und Beredtsamkeit zu Ausfälligkeiten
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