Full text: Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten.Zweiter Band. 1905. (2)

Der bedingte Strasausschub. 487 
Die deutschen Bundesregierungen. 
Schon im Jahre 1895 gingen mehrere deutsche Bundesstaaten dazu über, 
dem Institute der bedingten Verurteilung auf dem Verordnungswege der 
Instizverwaltung näher zu treten, nachdem die Reichsregierung sich auf grund 
der damaligen Erfahrungen zur Anregung einer reichsgesetzlichen Regelung 
nicht entschließen konnte. Die Königliche sächsische Justizverwaltung durfte für sich 
das Vorrecht in Anspruch nehmen, als erste mit ihren Bestimmungen auf dem 
Platze der Menschlichkeit und Zweckmäßigkeit gewesen zu sein. In der eingehenden 
Verordnung vom 25. März 1895 (abgedruckt unter anderem in den Mitteilungen 
der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung Band 5, S. 529) werden den 
Staatsanwaltschaften und Gerichten die Beweggründe für die Billigung des Systems 
innerhalb gewisser Grenzen und die Nachachtung der erlassenen Vorschriften unter 
Bezugnahme auf das Pflichtgefühl, das Wohlwollen und den Takt der zuständigen 
Beamten mit warmen Worten nahegelegt. Im November 1895 folgten Preußen, im 
Frühjahr 1896 Württemberg und Bayern und noch später weitere Bundesstaaten 
auf dem betretenen Wege nach. 
Verfahren. 
Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Verfahren im Auslande und dem 
im Deutschen Reiche Geschaffenen liegt darin, daß bei uns nicht der Richter durch 
Gesetz, sondern die Justizverwaltung vom Monarchen in Ausübung seines landes- 
herrlichen Gnadenrechtes ermächtigt ist, Aufschub der Strafvollstreckung bedingungs- 
weise zu gewähren. Wir haben also in Deutschland keine bedingte Verurteilung. 
Der Richter spricht die Verurteilung unbedingt aus. Die Verurteilung als solche 
bleibt bestehen, wenn auch später die Strafe erlassen wird; sie wird im Strafregister 
des Verurteilten geführt, sie gilt als Vorstrafe, sie begründet den Rückfall. Wir 
haben nur einen bedingten Strafaufschub, der seinem Wesen nach Gnade 
ist. Auch wurden zunächst nicht der erkennende Richter, sondern der Staatsanwalt 
und der Amtsrichter als Vollstreckungsbehörden damit betraut, dem Justizministerium 
im einzelnen Falle den bedingten Strafaufschub vorzuschlagen. Aber nenere, auf 
Vereinbarung derjenigen Bundesstaaten, welche ähnliche Einrichtungen haben, beruhende 
Verordnungen gehen einen Schritt weiter und verfügen, daß bei Verurteilten, welche 
vor vollendetem 18. Lebensjahre gefehlt haben, die erkennenden Gerichte sich darüber 
aussprechen müssen, ob sie eine Bewährungsfrist für angemessen oder unangemessen 
halten. Den erkennenden Gerichten steht es auch frei, bei Verurteilten, die nach 
vollendetem 18. Lebensjahre das Strafgesetz übertreten haben, sich in derselben 
Richtung gutachtlich zu äußern. In schöffengerichtlichen Sachen sind an der Be- 
schlußfassung über das Gutachten die Schöffen, also das Laienelement, beteiligt. 
Die Strafvollstreckungsbehörden (Staatsanwalt, Amtsrichter) sind verpflichtet, 
auch wenn sie entgegengesetzter Meinung sein sollten, der Justizverwaltung in den 
Fällen Bericht zu erstatten, in welchen das erkennende Gericht eine Bewährungsfrist 
für angemessen erklärt hat, während es ihnen unbenommen bleibt, auch in anderen 
Fällen Vorschläge zu unterbreiten. Bittet der Verurteilte, welcher nach dem acht-
	        
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