Full text: Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten.Zweiter Band. 1905. (2)

Der bedingte Strafausschub. 489 
Auch für die Bezahlung einer Geldstrafe, deren Uneinbringlichkeit nach den Verhältnissen 
des Verurteilten mit Sicherheit zu erwarten ist, kann ein bedingter Strafaufschub 
angemessen sein, weil ja die meist kurze Ersatzfreiheitsstrafe, sei sie uun Gefängnis 
oder Haft, dieselben Gefahren in sich birgt. Weiter müssen aber sowohl die Straf- 
tat selbst, wegen deren Vernrteilung eingetreten ist, als die persönlichen Ver- 
hältnisse und Charakter und Leumund des Verurteilten die 
Hoffnung begründen, daß auf sein Gemüt die bloße Verurteilung 
bereits so nachhaltig bessernd und abschreckend wirken werde, daß 
es der Verbüßung der Freiheitsstrafe nicht erst bedarf. Es wird 
also viel auf den Beweggrund und Anlaß zur Straftat ankommen, ob sich jemand 
in Not befand oder durch günstige Gelegenheit und schlechte Gesellschaft verführt 
wurde; auch der durch die Tat verursachte Schaden ist zu berücksichtigen; z. B. es 
sind nur geringwertige Gegenstände gestohlen oder unterschlagen worden; endlich ist 
die Ausführung der Tat manchmal zu berücksichtigen, es kann jemand bei Diebstahl 
geringwertiger Objekte eine sehr gemeine, ehrlose Gesinnung gezeigt haben, wenn der 
Dieb beispielsweise einem Krüppel ein kleines Almosen gestohlen hätte. Es kommt 
aber vor allem auch mit darauf an, ob der Charakter des Verurteilten 
wenigstens eine annäherude Bürgschaft dafür bietet, daß er nicht 
wieder straffällig werde, wobei natürlich auch die persönlichen Verhältnisse, 
in welchen das Kind oder der Jugendliche unter der strengen Auf- 
sicht eines Vaters, einer Mutter, eines Vormundes oder Lehrherrn 
und Arbeitgebers steht, zu berücksichtigen sind. Freilich kann kein 
Mensch den Charakter des Verurteilten berechnen, vielfach wird deshalb zu dessen 
Gunsten angenommen werden können, er werde sich bessern und nicht wieder peccieren. 
Dieselben Grundsätze sind auch maßgebend, soweit es sich um bedingten Strafaufschub 
für Erwachsene handelt. Auch hier sind die Länge der Strafen, die Schwere oder 
Leichtigkeit der Tat, Beweggrund und Anlaß zu ihr, verursachter Schaden und Art 
der Ausführung, der Charakter und Leumund des Verurteilten, vor allem dessen 
bisherige Unbescholtenheit zu berücksichtigen. Weitere Umstände, welche der Befür- 
wortung eines bedingten Strafanfschubs bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen 
zu grunde liegen können und die Verbüßung der ordentlichen, wennschon bei der 
Strafzumessung gebührend ermäßigten Freiheitsstrafe als zu hart erscheinen lassen, 
sind noch verminderte Zurechnungsfähigkeit des Verurteilten, schwere körperliche Ge- 
brechen, wie Blindheit, Taubstummheit, erhebliche Verkrüppelung, schwere Krankheit usw., 
welche dem Verurteilten schon an und für sich im Kampfe um das tägliche Brot hinderlich 
sind, und endlich noch der Umstand, daß es nach dem geltenden Strafgesetze, wie z. B. 
jetzt beim Diebstahl auch des geringsten Gegenstandes, nicht zulässig ist, auf eine 
nach den Verhältnissen des Verurteilten einbringliche Geldstrafe zu erkennen. 
Verfahren nach Ablauf der Bewährungsfrist. 
Wird der Strafaufschub gewährt, so hat der Verurteilte die Pflicht, während 
der Bewährungsfrist jeden Wohnungswechsel sofort der Vollstreckungsbehörde an-
	        
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