Die Beleidigung. 495
dieser anderen Person schuldig. Man kann eine Person beleidigen, deren Perfön-
lichkeit man gar nicht kennt, zum Beispiel mit Schimpfworten den in finstrer Nacht
an der Hausglocke Läutenden. Ein Irrtum in der Person des anderen kann von
Einfluß sein. Ein Vater ruft nächtlich in die dunkle Hausflur einer herauf-
kommenden Person, die er dem Schritte nach für seinen minderjährigen Sohn hält,
das Wort „Nachtbummler“ zu. Es erscheint aber nicht der Sohn, sondern der
Baron X. Der Vater ist straflos, weil ihm zufolge des Irrtums in der Person
das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit fehlt. Aber nicht jeder solcher Jirtum schützt
vor Strase. Man hat die wahre Tatsache gelesen oder gehört, daß eine junge
Dame mit bestimmtem Namen ein unlauteres Verhältnis mit ihrem Diener gehabt
habe. In der Frau oder Braut eines anderen glaubt man irrtümlicherweise, viel-
leicht zufolge Gleichheit oder Aehnlichkeit der Namen, jene junge Dame zu sehen
und redet ihr jenes Verhältnis nach. In diesem Falle will man ja eine ganz
bestimmte Person, die Frau oder Braut des anderen, treffen. Wer gegen die Ehre
eines Lebenden, den er für verstorben hält, eine Kundgebung richtet, kann nicht
wegen Beleidigung bestraft werden.
Die Kundgebung muß eine vorsätzliche, sie muß gewollt sein.
Die fahrlässige, die nicht gewollte Kundgebung ist zwar begrifflich denkbar, sie steht
aber nicht unter Strafe. Wer in dem guten Glauben, allein zu sein oder von
anderen nicht gehört oder nicht verstanden zu werden, eine beleidigende Aeußerung
vor sich hinmurmelt, kann nicht bestraft werden. Ebensowenig wer einen Brief
beleidigenden Inhalts schreibt, ihn zuklebt und, weil er sich zur Absendung noch
nicht entschließen kann, in einen Schrank legt, wo ihn ein Dritter findet und ihn
an den Adressaten befördert, es hätte denn der Briefschreiber mit einer solchen
Absendung wider sein Wissen rechnen müssen.
Die Kundgebung macht strafbar. Erst wenn jemand von ihr Kunde
erhalten hat, ist die Straftat der Beleidigung vollendet. Eine sirafbare versuchte
Beleidigung kennt unser Gesetz nicht. Wenn Müller im menschenleeren Wald in
den heulenden Novembersturm schreit, daß Schulze ein Esel sei, und hierbei, viel-
leicht ganz wider seinen Willen, von keinem menschlichen Wesen vernommen wird,
so liegt noch keine strasbare Beleidigung vor. Sie ist aber vorhanden, sowie
Müller seine Heldentat weitererzählt. Der Beleidigte braucht die Kundgebung nicht
selbst wahrzunehmen. Er braucht sie ja, wie das kleine Kind oder der Geistes-
kranke, als Beleidigung gar nicht zu empfinden. Wer hinter dem Rücken eines
anderen eine verächtliche Gebärde macht und hierbei von einem Kinde, welches
darüber Zeugnis abzulegen vermag, beobachtet wird, ist strafbar. Taube Personen
können durch ihnen in das Gesicht gesprochene Worte beleidigt werden. Der
Täter muß mit der Möglichkeit rechnen, daß seine Kundgebung
von irgend einem Menschen wahrgenommen wird. Schreibt der Täter
dem anderen eine beleidigende Postkarte, die er durch irgend welchen Zufall, ehe
der Adressat sie gelesen hat, wieder zurückerlangen könnte, so wäre gleichwohl die
Beleidigung vollendet, wenn die Karte auf der Post oder von dem bestellenden