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schwankte gewissermaßen zwischen dem strengen Luthertume seiner Eltern
und dem Kalvinismus seines Schwagers, des Pfalzgrafen Johann Casimir.
Einer möglichst großen Macht- und Prachtentfaltung geneigt, vergrößerte
der Kurfürst seinen Hofstaat um eine aus fünfzig Edelleuten bestehende
Garde, die er Karabiniers-Garde nannte.
Da Kurfürst Christian wegen der andauernden Bekenntnisstreitigkeiten
in seinem Lande mehr und mehr Abneigung gegen die Führung der Re—
gierungsgeschäfte zu empfinden begann, so gelang es einem ehrgeizigen und
ebenso herrschsüchtigen wie tatkräftigen Manne, dem Kanzler Nikolaus Krell,
die Leitung der Staatsangelegenheiten beinahe ganz ausschließlich in seine
Hände zu bringen, zu einer Zeit, in welcher Kursachsen durch die Fragen
der kirchlichen wie der weltlichen Politik gleich stark aufgeregt wurde. Vater
Augusts Hoffnung, die Streitigkeiten der Nichtkatholiken durch die Konkordien-
formel beigelegt zu sehen und alle Evangelischen unter dem Banner des
Luthertums zu vereinigen, verlor immer mehr an Aussicht, je anmaßender
der Kalvinismus sein Haupt erhob und jede Vermittelung verschmähte, selbst
dann noch, als Krell es dahin gebracht hatte, daß die Verpflichtung der
Geistlichen auf die Konkordienformel aufgehoben wurde und das „Unver-
ändert" der Augsburgischen Konfession fallen sollte. Obwohl nicht offiziell
Kalvinist, war doch dieser sächsische Kanzler, dem es gelungen war, auch den
geheimen Rat abzuschaffen, so daß alle Regierungsakte durch seine Hände
gingen, der reformierten Lehre derartig zugetan, daß er seinen übergroßen
Einfluß hauptsächlich dazu verwendete, das im Lande Sachsen geltende von
dem Volke der Sachsen geliebte Luthertum durch die radikalen Konsequenzen
des Kalvinismus zu ersetzen'0), wobei es nicht an harten Kämpfen gegen
die altgläubige Geistlichkeit fehlte. An deren Spitze standen die Ober-
hofprediger Mirus und Selnekker, während ein Hauptwerkzeug Krells, der
auch als Botaniker bekannte Pastor Gundermann war, nach welchem (dies
sei nur nebenbei bemerkt) ein beliebtes Küchenkraut genannt ist.
Auch in der äußeren Politik schlug Krell einen dem bisherigen ent-
gegengesetzten Weg ein, wobei er an den Gebrüdern von Schönberg wert-
volle Unterstützung fand. Wolfgang war des Kurfürsten Hofmarschall,
Kaspar stand als Feldmarschall in französischen Diensten. In Verbindung
70) Darüber besonders war das, obwohl streng lutherische, doch aber dabei an den
Sitten der Väter hängende Volk aller Stände empört, daß die immerhin noch vorhandenen
geistigen Verbindungsfäden mit der alten Zeit zerrissen werden sollten, welche in verständiger
Weise auch ihrerseits der Volkstümlichkeit der neuen Lehre von Nutzen gewesen waren. So
spielte der althergebrachte, nicht ohne tiefen Sinn eingeführte Exorcismus bei der Taufe,
das heißt die Reinigung des Täuflings von allen bösen Geistern, das heißt allen dem
Kinde angeborenen, dem Teufel, welcher die Menschen verderben will, zugeschriebenen bösen
Lüsten und Neigungen, eine große Rolle. Wie Gretschel, Stichart und die sonstigen
sächsischen Geschichtsschreiber berichten, erschien tatsächlich in Dresden am Taufstein an der
Spitze der Paten ein Fleischermeister mit blankem Fleischerbeil, die Drohung ausstoßend,
dem Geistlichen unweigerlich den Kopf zu spalten, wenn derselbe nicht sofort sein Kind mit
dem Exorcismus taufen wolle. .
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