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Innungen und Zünften, die „Defensioner“ formiert wurden; eine gewaltige
Truppenmasse „zu Fuß“.
Das Landvolk wurde teils in die Defensioner eingereiht, teils hatte
es seine Kriegsdienste als Schanzgräber und Geschützbedienung bei der
„wohlgelahrten Arkeley“ ) (Artollerei, Artillerie), sowie als Vorspannfuhr=
leute für Wagen und Heergerät zu leisten.
Mit dieser Organisation ging die immer geregelter werdende Auszahlung
von Sold Hand in Hand. Gar manches Schlachtfeld des dreißigjährigen
Krieges, manche Stadtmauer und mancher Festungsgraben sind Zeugen von
der Tapferkeit der sächsischen „Soldaten".“5)
Doch war der alles vernichtende und zerstörende Einfluß jener Völker-
staupe, die auf ihrem langen Wege von Prag bis Osnabrück eine breite
77) Wenn je, so ist man hier versucht, auszurufen: O Permutatio rerum! Jene
kursächsische „Artholerey zu Felde“ (die Armierung der Festungen ist also abgerechnet),
deren Oberst der Ritter von Schwalbach war, versügte über die zu jener Zeit außerordentlich
stattliche Anzahl von 17 Stücken oder Kanonen. Heute nach rund 280 Jahren stellt das
— gegen damals wesentlich kleinere — Albertinische Sachsen in zwei Armeekorps 300 Geschütze.
78s) Im Jahre 1631 erhielt die „regulierte Miliz“, die an Stelle des „Aufgebotes von
Adel und Volk“ getreten war, die ersten Kriegsartikel. Mit notwendig werdenden Er-
gänzungen und Erweiterungen versehen, aber im Grunde unverändert, haben diese goldenen
Worte ein Viertel Jahrtausend lang selbständig gegolten im sächsischen Heere und so mancher
Brave ist auf sie vereidigt worden. Kernig und kurz, muteten dieselben an wie ein Gebet.
Keine ins einzelne gehenden Erörterungen nahmen den Nimbus des Wuchtigen, ja Er-
greifenden der Worte, die also begannen: „Aller Segen und Gedeihen kommt einzig und
allein von dem allmächtigen Gott. Deshalb soll ein jeder Soldat eines gottesfürchtigen
Wandels sich befleißigen“ usw. usw. Dann folgte ein Appell an die Treue gegen den
Kriegsherrn und dessen Erlauchtes Haus; an die Ehre des einzelnen wie diejenige des
Truppenteils; an Tapferkeit und Mut, nicht nur dem sichtbaren Feinde und dessen Waffen,
sondern auch den Anstrengungen und Entbehrungen gegenüber; an den Gehorsam, den
Kitt der Armeen; an die Kameradschaft, jene auf dem Tragen und Erfüllen gleicher Pflichten.
gegründete Freundschaft und Hingebung Gleichgestellter, Höherer und Niederer. Kurz, diese
Artikel waren, wurden und blieben ein auf das Ideale gerichteter Führer durch die Para-
graphen der zu erlernenden Bestimmungen, Reglements und Verordnungen des praktischen
Dienstes. Und der Schreiber dieser Zeilen kann — wie dies alle tun können werden, die
mit Bewußtsein unter dem Banne dieser geradezu väterlichen Ermahnungen gestanden
haben — erhärten, welchen Eindruck dieselben jederzeit auf die gesamte Mannschaft ausgeübt
haben, nicht zum wenigsten auf die neu zu den Fahnen eintretenden jungen Krieger, denen
sie eine Art Verkörperung dessen waren, was sie selbst im Innern empfanden. Auch
preußischerseits hat man jetzt den unschätzbaren Wert solcher Kernworte eingesehen, deren
Verlesen — ohne hierdurch eine Blasphemie oder Gotteslästerung zu begehen — eine Art
militärische Hausandacht genannt werden können. Während die preußischen Kriegsartikel,
welche die Kontingente des deutschen Heeres ums Jahr 1873 annehmen mußten, eine nur
geringe Abänderung der vom König Friedrich Wilhelm III. 1808 erlassenen darstellten und
fast ausschließlich Strafandrohungen schärfster Art enthielten, also daß dem zur Fahne
Schwörenden beim Anhören derselben angst und bange werden konnte und ein kleiner Strahl
ethischen Glanzes nur spärlich, gewissermaßen wie durch ein Kerkerfenster dringend, Platz zu
finden vermochte, zeichnen sich diejenigen vom 22. September 1902 durch edle Sprache und
würdevolle Auffassung aus. Dieselben redigiert beziehungsweise eingeführt zu haben ist das
Verdienst Kaiser Wilhelms II. Sie erinnern lebhaft an die altsächsischen Kriegsartikel und
werden nicht ermangeln, ihren Segen in sich zu tragen.