— 120 —
diesem Notstand tauchte jenes Instrument von „Rindsleder“ auf, welches
gleich bei seinem ersten Auftreten in der Geschichte zu hohen Ehren ge—
langte — der hohe Stiefel. Schon einmal hatte die Welt Soldatenstiefeln
gesehen, mit deren Namen ja derjenige des römischen Kaiser Caligula eng
verbunden ist, den man wegen seiner ausgesuchten Grausamkeit, seines un—
mäßigen Hochmuts, und des von ihm „erfundenen“ Cäsarenwahnsinns,
kennt und verabscheut. Aber der Stiefel des „Friedländischen Reiters-
mannes“ war praktischer. Anfänglich nur ein Ordonnanzstück jenes un-
bändigen Kriegsknechtes, der stolz von seinem Tiere auf „das Gehudel unter
ihm“ herabsieht, ging er bald auch aufs Fußvolk über und brachte schließlich
alles in seinen Bann. Denn da in jener drohenden Zeit, in der es galt,
gegen die allüberall auftauchenden Feinde ebenso auf der Hut zu sein, wie
gegen die gleichermaßen brandschatzenden Freunde; wo oft „keine Gegenwehr
half und keine Flucht, wo keine Ordnung mehr galt und keine Zucht“, sich
gern ein jeder wenigstens äußerlich ein wehrhaftes und unantastbares Aus-
sehen zu geben bestrebt war, ging allmählich der große Reiterstiefel mitsamt
den klirrenden Sporen und dem breiten Sporenleder auch auf die friedliche
Welt über; und bald spielte er seine Rolle auch in den feinen Pariser Salons.
Dort, wie auf der Promenade legten sich die umgekrempelten breiten, teils
rot, teils gelb gefütterten Stulpen, die vom Reiter, wenn er zu Pferde
saß, als schützende Verlängerung bis übers Knie heraufgezogen wurden, in
weit abstehende, herunterhängende Falten.
Es dürfte nicht wohl geleugnet werden können, daß es kaum etwas
derberes gibt als einen schweren Reiterstiefel. Und doch ließ die — damals
zuerst als Völkergeißel auftretende — „Mode“ es sich nicht nehmen, die
Stulpen dieser Stiefel mit duftigen Spitzen auszustaffieren, die wahrhaftig
weit eher ihren Platz am zarten Busen einer schönen Dame hätten einnehmen
sollen, als daß sie mit dem dampfenden Leibe eines schnaubenden Kriegs-
rosses in Berührung kamen. „Das hat mit ihrem Singen“, das hat mit
ihrer Allgewalt die Mode getan.) Auch finden sich die, gleich den Zöpfen
„höherer Töchter“" kunstvoll geflochtenen Mähnen der Gäule mit allerhand
Bändern und Schleifen verziert.
Wie die linnenen Spitzen, deren Erzeugungskunst, das Klöppeln, gerade
damals im sächsischen Erzgebirge zum Aufschwung kam (von den Nieder-
landen dort eingeführt), so brachte jene Zeit, die doch nichts weniger als
„ledern“ gewesen ist, sondern des Aufregenden, Spannenden und Ab-
wechselungsreichen beinahe zu viel bot, das „Leder“ in intensive Benutzung.
Außer Stiefeln und Wams, sind auch die Pistolenhalfter von Leder, die
s7) Gewissermaßen aus einer Versenkung ist es aufgetaucht, dieses undefinierbare
Etwas, auf die Schaubühne des menschlichen Treibens. Und dieses letztere wird von Jahr
zu Jahr mehr von Außerlichkeiten beherrscht und für Außerlichkeiten am Narrenseil gezogen,
seitdem sie erschienen ist und das Heft in den Händen hat; seitdem sie, die Mode, ihre
Herrschaft ziemlich international auszuüben sich bestrebt und das geworden ist, was sie
von Anfang an hat sein und werden wollen: Mode.