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sonderheit zu derjenigen der Perücke, welche ihrerseits die absolute Herrschaft
französischer Sitte und französischen Einflusses versinnbildlicht.
Wie der Roy Soleil in schonungsloser Unbarmherzigkeit alle über—
bleibsel (ethische sowohl wie materielle) einer Zeit ausrottete, die ihm nicht
gefiel, weil sie sich nicht nach ihm gerichtet und gemodelt hatte, wie er seine
Mitfürsten und Mitmenschen als Wesen niederer Gattung behandelte, die
nur nach ihm sich zu richten hatten, wie bezeichnenderweise sogar Wege und
Stege, Sträucher und Bäume seiner Tyrannei sich fügen mußten und sich
den von ihm beliebten Formen und Gestalten anbequemen, wie es ihm
Bedürfnis war, jede Regung selbständiger, ihm entgegenstehender Meinung,
jedes sich ihm nicht unterwerfenden Willens im Keime zu ersticken oder
grausam zu rächen, so gelang es ihm auch, dem Individuellsten was es gibt —
dem Menschenantlitz sein persönliches Siegel, den Stempel seines Willens
aufzudrücken. Das Mittel zu dieser planmäßigen Vernichtung jedes
Subjektivismus zu dieser Uniformierung der Gesichtszüge, zu dieser sub—
missesten Unterwerfung auch dieses Faktors unter seinen Geschmack, unter
seiner Anordnung, war die Perücke, die von Ludwig XIV. ausgehende
Staats- und Allongeperücke.
Jedes einzelne ihrer künstlich gewundenen falschen Haare ist ein Faden
in dem großen Spinnengewebe französischer Herrschsucht und Eitelkeit, in
dessen Netze sich Menschen- und Völker-Fliegen fingen, große wie kleine.
Die Nachahmungssucht — das wußte der Allgewaltige — und die Anbetung
seiner Person wie seiner Schöpfungen war ja unglaublich. Unglaublich war
die freiwillige Unterwerfung unter eine Geisel, deren Schläge blutige Striemen
auf den Rücken der Nationen hinterließen, während die Herzen der Völker—
schaften mit Gift erfolgreich traktiert wurden.
Im Jahre 1655 ernannte Ludwig XIV. mit einem Federzuge über
ein halbes Hundert (63) Hofperüquiers allein für die Stadt Paris, alle
mit gebundener Marschroute. Tausende folgten in den Provinzen, und im
Auslande war man glücklich, den französischen Meistern ihre vom Könige
selbst in eine besondere Richtung gebrachte Kunst abzusehen. Dieser sonder-
bare Pairsschub bedeutete effektiv einen Staatsstreich im Bereiche der Mode
und weit über dieselbe hinaus. Die einerseits „Königliche“, andererseits
unzweifelhaft alle Köpfe oder vielmehr die Köpfe aller gleichmachende, mithin
den Unterschied nivellierende Perücke war zum äußeren Zeichen französischen
Esprits und französischer Allüren erhoben, denen sich weit über die Grenzen
Frankreichs hinaus weder Fürsten noch Untertanen zu entziehen wagten, ja
ihnen zuflatterten wie die Nachtfalter dem Lichte. Und welchen Unsinn
involviert jener Wust falscher Haare! In seiner Wesenheit das Urbild der
Unnatur, beraubt er den Kopf des eigenen Schmuckes, der vom lieben
Schöpfer gegebenen Haare, und zwar ohne alle wirkliche Notwendigkeit.
Und an der Stelle künstlich abgeschorener Haare wird ein falscher Schopf
ausgesetzt! Von der damaligen Zeit allerdings für schön gehalten, aber doch
an Unförmigkeit grotesk und bizar, bietet diese widersinnige Erscheinung ein