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ängstigenden Sachlage gegenüber, daß damit jede Aussicht auf eine Territorial-
verbindung zwischen Sachsen und Polen zerstört worden war. Außerdem
suchte das zur Großmacht gewordene Preußen mit seinem klug ausgedachten
Zollsystem Sachsen zu umklammern, beziehungsweise wenn möglich zu erdrücken.
Der Anschluß an Österreich war also geboten. Mit den österreichischen
Truppen zusammen hatten die sächsischen im zweiten schlesischen Krieg (in
welchem Friedrich II. das genommene Schlesien verteidigte) die unglücklichen
Schlachten bei Hohenfriedberg und Kesselsdorf (1745) zu bestehen. Um
den fernerweiten Eroberungsgelüsten Friedrichs von Preußen mit Erfolg
entgegentreten zu können und Preußen zu schwächen, war Österreich ein
Schutz= und Trutzbündnis mit Rußland eingegangen. Der Beitritt Sachsens
zu diesem Bündnis soll daran gescheitert sein, daß ihm zu geringe Ver-
sprechungen gemacht worden seien, weshalb der geheime Rat sich wider-
setzte. Jedenfalls aber mußte auch dieser Staat jederzeit kriegsbereit und
auf alle kommenden Möglichkeiten gefaßt sein. Anstatt dessen ordnete Brühl
— entgegen den eindringlichsten Gegenvorstellungen sämtlicher Generale —
in diesem kritischen Augenblick, in welchem fürwahr „das Pulver trocken zu
halten“ dringend geboten gewesen war, eine allgemeine Reduktion der kur-
sächsischen Armee an. Ciu bono? — Wem zu Gunsten? — Do der all-
mächtige Graf Brühl niemanden vor den Kurfürsten ließ, dessen Absichten
nicht ganz genau mit den seinigen übereinstimmten, so waren alle machtlos
und mußten sich knirschend und traurig zugleich den Befehlen des Landes-
herrn fügen, von deren Tragweite und Unsegen dieser jedenfalls nicht die
geringste Ahnung hatte Wahrlich, an dem Unglücke Sachsens hat der
„Staatslenker“ Brühl mindestens denselben Teil, wenn nicht einen weit
größeren, wie der in Friedrich dem Zweiten verkörperte grausame
äußere Feind.
In das gänzlich unvorbereitete Sachsen brach der König von Preußen
ohne vorherige Kriegserklärung am 29. August 1756 mit einer Armee von
60000 Mann ein, das arme Land aufs neue allen Schrecknissen des Krieges
preisgebend. 102) Er hatte das ganz außerordentliche Glück, am 13. Oktober
desselben Jahres die kursächsische Armee, der es — von Brühl verschuldet
— an allen Bedürfnissen gebrach, am Fuße des Liliensteines aus Hungers-
not kapitulieren zu sehen, nachdem gegen 200 Mann wegen völligen Mangels
an Lebensmitteln im Lager elend gestorben waren. Daß übrigens die
sächsischen Truppen, welche seit Wochen den harten Kampf nicht mit des
102) Ein so trauriges Beispiel von Schurkerei und verächtlicher Handlungsweise der
Verrat des Geheimkanzlisten Menzel ist, der für einen Judaslohn von 3000 Talern dem
preußischen Gesandten seit 1753 fortlaufende wöchentliche Berichte über bie Verhandlungen
der Mächte zukommen ließ, so mutig war das Verhalten der Kurfürstin Maria Josepha,
welche mit ihrem Leibe (allerdings vergeblich, denn sie ward mit Gewalt hinweggerissen)
den Schrank in ihrem Gemach deckte, in welchem die auf den beabsichtigten Vertrag be-
züglichen Aktenstücke enthalten waren. Die edle Fürstin starb aus Gram über das Elend
ihres Landes bereits im nächsten Jahre 1757.