— 158 —
räter an der Menschenwürde und als Barbar gegenüber den guten Sitten
allgemeiner Verachtung anheimgefallen. 1
Bei weitem mehr noch als die Allongeperücke bedurfte die gepuderte
„Stutzfrisur", sei es von künstlichen, sei es von eigenen Haaren zurecht
gestutzt, mit ihren „Taubenflügeln“ und „Vergetten“, d. h. den sanft ge-
kräuselten Haarwellen an den Schläfen, vorsichtigster Schonung.
Der Hut, der bereits bei dem zuerst aufgekommenen Haargebäude
welches den Kopf bedeckte, als Kopfbedeckung logischerweise überflüssig
erschienen hatte und mehr zum Staat aufgesetzt worden war, wurde von
„feinen“ Herren nun ganz in der Hand gehalten, um den Haarputz nicht
zu „troublieren“.
Den großen breitrandigen Schlapphut des dreißigjährigen Krieges
hatte man, teils um ihm ein keckeres Aussehen zu geben, teils um hand-
licher zu sein, schon zu den Zeiten des Beginnes der Löwenmähne eine
Krempe umgeschlagen. Dieser einen Seite der Krempe war dann die andere
gefolgt, auch hatte der Hut selbst an Größe bedeutend abgenommen. Nun
bog man auch die dritte Seite um und der klein und zierlich gewordene
Hut — mit um den Mittelpunkt herumgelegten Federwerk (plumage)
anstatt der früher lang herabwallenden Einzelfeder, begleitete die Häupter
mehr zur Zierde als daß er dieselben bekleidete. Immerhin aber war
dieser Hut doch mitunter als Hut benutzt und aufgesetzt worden. Die
neue Frisur des achtzehnten Jahrhunderts verlangte indessen, wie schon
kurz erwähnt, die subtilste Schonung, damit nicht der Schmetterlingsstaub
des Puders verwischt oder gar die zarte Vergette gedrückt werde. Auf-
gesetzt konnte mithin der Hut nicht werden, ohne in die schwierigsten Kon-
flikte mit der Unverletzlichkeit des toupées zu geraten, die zwar dem
Offizier und Soldaten weniger, dem Hofmann aber um so mehr als heilig
galt. Da die eine Hand des jungen wie des alten „Elegants“ den un-
entbehrlich gewordenen Stock aus dickem spanischen Rohr mit obligatem
Gold= oder feinem Porzellan-Knauf führte, die andere aber jederzeit frei
sein mußte, um den Geboten der Galanterie folgend, die Fingerspitzen
einer Dame, wenn einer solchen begegnet wurde, zart zu berühren, so wurde
der Hut unterm Arme getragen. Damit dies nach Möglichkeit so bewerk-
stelligt werden konnte, daß auch der Hut seinerseits nicht Gefahr laufen
brauchte, zerdrückt zu werden, ließ man die Aufbiegung der einen Krempe
wieder weg und machte ihn zweiseitig. So drückte er sich flach zusammen.
u9 In der Tat liegt gar kein geringer Teil des Geheimnisses des Erfolgs — wie
hier im kleinen, so anderswo im großen Maßstabe — in der Fähigkeit und gewissermaßen
Rücksichtslosigkeit, sich über Schranken hinwegzusetzen, die moralisch durchaus nicht solche
sind, sondern nur von der Pedanterie der Menschen und in der Einbildung derselben zeit-
weise mit einem Scheine von Wichtigkeit und Unverletzlichkeit umgeben werden. Man denke
als Beispiel nur an das katzenartige Vorspringen der in Plänklerketten und Tirailleurlinien
aufgelösten republikanisch-laiserlichen voltigeurs Napoleons gegenüber den abgemessenen
Schritten ihrer in Kolonnen vorgehenden Gegner, welche sich nicht sobald von dem Marsch-
tempo emanzipieren konnten, welches bei Torgau üblich gewesen war.