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Die hierdurch bewirkten Umgestaltungen waren die Vorläufer zum
Eintritte Sachsens in den für das Gesamtwohl und die nationale Ent—
wickelung Deutschlands so außerordentlich segensreichen deutschen Zoll—
verein, 1834. Mit diesem, auf hochherzigem und weitsichtigem Entschlusse
beruhenden Schritte ging einerseits die wirtschaftliche Selbständigkeit der
Einzelstaaten mehr oder weniger verloren, andererseits aber gewann das
so sehr notwendige Bewußtsein der Zusammengehörigkeit aller deutschen
Staaten und der „deutsche Gedanke“ überhaupt. 1)
Noch war es dem königlichen Greise vergönnt, seinen achtzigjährigen
Geburtstag zu erleben, getragen von der Liebe und Verehrung seines
Volkes. Doch schon nach wenigen Monaten, nämlich am 6. Juni 1836,
sollte sich an ihm, dem bejahrtesten aller Fürsten Europas, das Wort der
heiligen Schrift erfüllen, über welches an jenem vorhin erwähnten fest-
lichen Tage der Oberhofprediger von Ammon gesprochen hatte: „Wir sind
gnadentum des Königs ist geblieben, die absolute Herrschergewalt aber ihm genommen;
da jedes Gesetz der Zustimmung der Minister bedarf. Die alten erblichen Stände bilden
die erste Kammer, eine aus Wahlen hervorgegangene Körperschaft die zweite Kammer im
Landtage des Königreiches. Gegen eine ganz außerordentlich geringe, von der Opferfreudig-
keit der volksfreundlichen Dynastie zeugende Entschädigung (die sogenannte Zivilliste), deren
Betrag den heutigen Verhältnissen gegenüber als eine ganz außerordentlich minimale be-
bezeichnet werden muß, verzichtete das Königshaus hochherzig auf seinen Grundbesitz. Auch
die überaus wertvollen Sammlungen der Fürsten wurden Staats-Eigentum. An die
Spitze der Staatsregierung trat der Staatsrat, aus den Königlichen Prinzen und den
höchsten Staatsbeamten bestehend; und an Stelle des bisherigen Geheimen Kabinetts kamen
die sechs Fachministerien: des Auswärtigen, des Inneren, der Finanzen, der Justiz, des
Kultus und des Krieges.
127) Naturgemäß mußte jene, wenn auch indirekt von deutschem Patriotismus, direkt
aber doch wohl von finanziellen Beweggründen der deutschen Staaten diktierte Neuerung
der Industrie und dem Handel von Vorteil sein, denen sie gewissermaßen auf den Leib zu-
geschnitten war. Die rapide Zunahme der Dampfmaschinen sowohl in den allerorten ent-
stehenden Fabriken, wie deren Verwendung zu Eisenbahn= und Dampfschiffahrt, die Ein-
führung des elektrischen Telegraphen, der riesenhaft sich erweiternde Postbetrieb taten das
ihrige, um jene beiden Beschäftigungsarten von Stufe zu Stufe zu heben, während die
Landwirtschaft, obwohl sich dieselbe den Neuerungen nicht verschloß, naturgemäß nicht
gleichen Schritt halten konnte und kann. Die Leipzig-Dresdener Eisenbahn wurde 1837 er-
öffnet und im selben Jahre fuhr auch das erste von drei in Aussicht genommenen Dampf-
schiffen auf der Elbe. Heute ist beinahe jede größere Stadt, sei es direkt, sei es indirekt,
mit dem ins Unglaubliche gewachsenen Schienenstrang verbunden. Ja, gemäß der Zeit-
schrift des königlich sächsischen statistischen Bureaus vom Juni 1902, in welcher Regierungs-
assessor Dr. Wächter, unter Hervorheben der Verdienste des Ministers von Lindenau um
die sächsische Städteordnung (1830) ein Bild der Städteentwickelung bietet, gibt es nach
Fertigstellung der neueren Bahnlinien in Sachsen nur noch zwei kleine Städte, Wildenfels
und Liebstadt, ohne Bahnverbindung. Heute verfügt die Sächsisch-Böhmische Dampfschiff-
fahrtsgesellschaft über einen Park von 43 Personendampfern, und Schleppdampfer aller
Systeme, mit ihren „Sirenen“ und ihrem Qualm die Uferbewohner peinigend, ersetzen das
längst veraltete „Bomätschen"“. Die Jahresfrequenz an Passagieren gibt die erwähnte Ge-
sellschaft im Jahre 1902 auf 3¾ Millionen an. Die „Briefmarke“ — diese heutzutage den
kleinsten Kindern bekannte und „selbstverständliche“ Einrichtung — verblüffte 1845 die Welt.