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Dasselbe Gefühl, von welchem die steinernen Herzen der Göttinnen
bewegt wurden, beschlich auch die in Fleisch und Bein an der Schloßwand
vorüber wandelnden Sterblichen; es ward mit der Zeit zu einem immer
regeren, zu einem allgemeinen. Wunsch und Meinung, daß etwas geschehen
möge, war zur vox populi, zur Volkesstimme geworden. Das Wie und
das Was der Ausführung erwies sich indessen lange als ein großes
Hemmnis. Man beriet hin und her und kam in der Hauptsache immer
wieder zu dem Resultat, daß der alte Erfahrungssatz richtig sei: „Es ist
schwer, verschiedene Menschen unter Einen Hut zu bringen; verschiedene
künstlerische Ansichten aber zu vereinen, ist noch weit schwieriger.“
Merkwürdiger, beinahe providentieller Zufall! — Der Beginn des so
Großes in seinem Schoße bergenden Jahres 1870, welches in seinem Ver—
laufe die verschiedenen deutschen Stämme unter Einem Hute — der Kaiser—
krone — einte, brachte auch hier Einigung unter Künstlern und Kommission.
Noch im selben Jahre konnte alles zur Ausführung eines von allen ge—
billigten Planes in Vorbereitung genommen werden. König Johanns
der Namen Nürnberg oder Rothenburg sich im Geiste in die Mitte altdeutscher Städte-
Architektur hinein versetzt fühlt, wie Versailles und Moskau, Danzig und Lübeck ganz-be-
sonders ausgesprochene Typen besonderer Bauweisen sind, so war Dresden bekannt und
berühmt als die Stadt des Barock und des Rokoko. Leider hört das jetzt auf. Selbst wenn
zwingende Gründe unbedingter Notwendigkeit praktischer Bedürfnisse die Triebfedern des
Nivellierens und Modernisierens sind, ist, vom Standpunkte des Gemütes aus, beides zu
bedauern, ohne indessen etwa daraus zu resultieren, daß den in der Person des unstreitig
sehr verdienstvollen Herrn Oberbürgermeister Beutler verkörperten Anschauungen der Neuzeit
die Berechtigung abgesprochen werden solle. Im Gegenteil muß anerkannt werden, daß
Bürgermeister und Rat nach Kräften bemüht sind, Dresden zu verschönern. Für zahlreiche
moderne Menschen, die das alte „überwunden“ haben, hat anderseits das Aufhören aller
und jeder Sonderheiten, sei es auf ethischem oder materiellem, sozialem, künstlerischem oder
politischem Gebiete, ja sei es auf dem der Natur, etwas Berauschendes. Den Bestrebungen
und Ideen dieser Menschen leisten die Umwandlungen der Städtebilder nach neuzeitlichen
Mustern gewaltigen Vorschub, weil sie die Eigenarten verwischen. Ausschwung und Er-
weiterung der Stadt in allen Ehren — so ist es dennoch Tatsache, daß in den letzten
Jahren gar stark unter den Barock= und Rokokobauten Dresdens aufgeräumt worden ist.
Der dringende Wunsch dürfte daher nicht ungerechtfertigt sein, dieser Bewegung — wenn
anders es sich mit den etwa obwaltenden höheren Interessen verträgt — Einhalt zu tun.
Noch steht das Kurländer Palais, noch ist dem Coselschen nicht das Todesurteil gesprochen.
Möchten diese beiden Perlen der Baudenkmäler Dresdens erhalten bleiben, für welche
Hofrat Gurlitt ein so warmes Herz hat. Auf die Gefahr hin, der Abschweifung geziehen
zu werden, kann Schreiber dieser Zeilen nicht umhin, mit dem von ihm in Bezug auf
Bauten Gesagten eine Außerung des „Vereins für Geschichte Dresdens“ in Parallele zu
stellen, welche einer Sammlung alter Ansichten besonders landschaftlichen Charakters als
Vorwort dient: „. Diese Bilder mögen vor Augen führen, mit welchem Opfer an
Naturschönheiten unsere Stadt den industriellen Aufschwung der letzten Jahrzehnte erkauft
hat. Gewiß haben viele Zerstörungen am Landschaftsbilde nur der Förderung der all-
gemeinen Wohlfahrt gedient und dürfen nicht beklagt werden; aber wenn ohne Not die
Felsgruppen am Plauenschen Grunde durch Steinbrüche verwüstet, wenn die herrlichen
Loschwitzer Elbgelände durch unförmliche Eisengerüste entstellt werden“ usw. usw.