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lassen könnte, fände sie nicht in den ganzen Zeitverhältnissen und der ganz
allgemeinen Anschauungsweise jetzt längst vergangener Jahrhunderte Er—
klärung, die von übergroßer Humanität und Sentimentalität ziemlich weit ent-
fernt waren, wenn es galt, Strafen zu verfügen oder abschreckende Urteile
zu fällen. Grausamkeit und Frömmigkeit konnten sogar unter Umständen
sogar Hand in Hand gehen; jedenfalls wurde durch Härten das Gefühl nicht
verletzt. Man denke an die ganze Art der Kriegführung, bei welcher Recken-
gestalten wie die der Nibelungen noch immer mehr oder weniger stark vor-
ausgesetzt wurden. Man denke an die Folter, deren Existenz einen scharfen
Schlagschatten auf vergangene Zeiten wirft. Man denke aber auch daran,
daß eben bei jenen starken Naturen das Gerechtigkeitsgefühl eine sofortige
Sühne verlangte, deren Maß nicht immer erst abgewogen wurde. Von
diesem Gesichtspunkte aus ist der Racheakt zu beurteilen, oder auch Gerechtig-
keits= oder Sühneakt, in welchem Heinrich hingerissen wurde, den Eisenacher
Ratsherrn Ludwig von Velspach, durch dessen Verrat die Stadt Eisenach
in die Hände der Feinde gefallen war, aus einer großen Wurfmaschine
Quasi als Geschoß von der Höhe der Wartburg in die Stadt hinunter-
schleudern zu lassen. Was nun die von Heinrich unüberlegt vorgenommene
Teilung anlangt, so zeigte sich als die erste und direkteste, von ihm selbst
noch — wie man zu sagen pflegt — „am eigenen Leibe zu verspürende“
Folge dieses unseligen Schrittes das Eintreten von Zerwürfnissen ernstester
Art, steten Unfrieden sowie fortwährender harter Befehdungen zwischen den
Söhnen untereinander sowohl, wie zwischen ihnen und dem seine Unklugheit
und Übereilung wohl bitter bereuenden Vater. Wie die eigene Familie des
Fürsten, so wurden naturgemäß auch Land und Leute, wurde das ganze
Wettinsche Gebiet durch arge Verwüstungen mitgenommen und geschädigt.
Sehr viel ernster und schwieriger noch waren die politischen Folgen nach
Heinrichs des Erlauchten Tode. Die gesamte, schön aufgebaute Wettinsche
Schöpfung kam hart an den Rand des völligen Unterganges, wobei freilich
nicht alles Übel der Teilung zuzuschreiben ist, vielmehr in der Hauptsache
dem völlig entarteten Albrecht stark zur Last fällt.
Sicherlich wird durch das Betrachten des „Fürstenzuges“ der Beschauer
nicht nur dazu angeregt, über die Personen desselben und deren Stellung
zum Sachsenlande, wie über den Zusammenhang Belehrung zu suchen, in
welcher diese Personen zueinander und zu den Geschicken ihres Volkes stehen.
Vielmehr dürfte, nachdem die politische Geschichte einer jeweiligen Epoche
über diese Fragen Auskunft erteilt hat, die Annahme nicht ungerechtfertigt
erscheinen, daß der Anblick jener Gestalten in deren historisch treuer bild-
nerischen Darstellung auch dazu Veranlassung bieten werde, einen Blick auf
das „Kulturgeschichtliche“ im engeren Sinne zu werfen.
Nicht uninteressant dürfte es sein, an der Hand des dem leiblichen Auge
hier Gebotenen, auch auf die Formen äußerer Erscheinung zu achten und