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angeschlagen werden, wenn man bedenkt, wie empört Herzog Georg über
den Untertan seiner ernestinischen Vettern war, der sich bedauerlicherweise
hatte hinreißen lassen, durch beleidigende Außerungen Georgs Fürstenstolz
empfindlich zu verletzen, ohne von jenen darüber zur Rede gesetzt worden
zu sein. Auch als man den Vorschlag machte, beim Reichstage zu Worms
das zugesicherte freie Geleit zu brechen, war Herzog Georg aufs hbchste
darüber entrüstet, indem er (wie auch Welck in seinem Werke über Georg
den Bärtigen anführt) sagte: „Solche Schande dürfen deutsche Fürsten nicht
zulassen. Die Redlichkeit verlangt, das zu halten, was man versprochen
hat.“ — In Bezug auf Fragen religiöser Natur war des Herzogs Seele in
einem fortwährenden Zwiespalt zwischen der Geltung von Gottes und des
Heilands Wort einerseits und der Geltung des Wortes der Menschen, die
an Christi Stelle auf Erden stehend, angenommen wurden anderseits. Eine
so geartete Natur konnte, obwohl sie dringend eine Reformation herbeisehnte,
eine Reformation an Haupt und Gliedern, eine solche doch nur aus den
Händen der höchsten kirchlichen Obrigkeit kommend, als vollgültig ansehen.
Da eine solche ausblieb (trotzdem, wie man sagt, später selbst Kaiser Karl V.
den Papst zu einem entsprechenden Schritte zu bewegen gesucht hatte), der ehe-
malige Augustinermönch aber, der das Panier aufwarf, bei Entfaltung des
Geistesstromes, der von ihm ausging, mehr oder weniger notgedrungen, mit
Tradition, Autorität und Disziplin zu brechen sich veranlaßt sah, so mußte
Herzog Georg ein Gegner der neuen Lehre werden. Welche widerstreitenden
Gefühle in seinem Inneren gekämpft haben müssen, geht allein schon daraus
hervor, daß er selbst mit eigenem Munde seinem sterbenden Sohne Johann
ausdrücklich die väterliche Vermahnung gab, er solle in seiner Todesnot nicht
seiner guten Werke oder des Verdienstes der Heiligen vertrauen, sondern
allein der Gnade unseres Herrn Jesu Christi, der alleinigen Quelle unserer
Seligkeit. Als die mit anwesende Gemahlin seines Sohnes, die Schwester
Philipps von Hessen, an den Herzog die Frage richtete: „Lieber Herr Vater,
warum läßt man dies nicht öffentlich im Lande predigen?" erwiderte der-
selbe: „Liebe Frau Tochter, man soll's nur den Sterbenden zum Trost vor-
halten; denn wenn das ganze Volk wissen sollte, daß man allein durch
Christum selig werden könne, so würden die Menschen gar ruchlos werden
und sich gar keiner guten Werke befleißigen.“ 50)
50) Dieser Ausspruch stimmt vollständig mit einem anderen desselben Herzogs überein,
den Seckendorff in seiner Geschichte des Luthertums anführt. Außer daß nämlich Herzog
Georg (von seinem Standpunkte aus nicht mit Unrecht) Luthers Auftreten als eine schwere
Schädigung von Autorität und Disziplin ansah und es für das ganze Volk verderblich
hielt, ungestraft Gelübde brechen zu sehen und das verwerfen zu hören, was ihm bisher
als heilig gegolten hatte, habe er geäußert: „Dieser Mönch singe fsüß wie eine Nachtigall,
steche aber mit einem vergifteten Schwanze wie ein Skorpion, weil er die Leute auf fleisch-
liche Freiheit führe und lehre, daß man nur durch den Glauben ohne gute Werke selig
werden könne, — mithin die Menschen der guten Werke entraten zu können glaubten."“
Daß ein solcher Glaube dann nicht der rechte Glaube ist, den Luther voraussetzt, ver-
schwieg er allerdings.