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sein könnte. Und für diese Möglichkeit werden wir gerade
in der vorliegenden Frage von der rechtlichen Stellung des
Meeres die treffendsten Beispiele finden.
Wenn nämlich die staatliche Gebietshoheit nicht, wie das
Eigentum, eine unmittelbare Beherrschung der Substanz der
Sache mit dem Zwecke der direkten Einwirkung auf dieselbe
zur Voraussetzung hat, sondern nur einen bestimmt begrenzten
Raum verlangt, innerhalb dessen der Staat seine Hoheitsrechte
ausschliesslich übt, so ist die Ausdehnung dieser Gebiets-
hoheit auf das Meer nur an zwei Bedingungen geknüpft, an
die faktische Ausübung der staatlichen Herrschafts-
gewalt und an die rechtliche, d. h. nicht privatrechtliche,
Ssondern nur völkerrechtliche Anerkennung derselben.
Wenn wir die erste dieser beiden Voraussetzungen ins
Auge fassen, so überzeugen wir uns sofort, dass die faktische
Geltendmachung von staatlicher Hoheitsgewalt auf dem uner-
messlichen Gebiet des offenen Weltmeeres weder möglich ist
noch auch zu irgend einer Zeit stattgefunden hat. Alle
Flotten der Welt würden vereint nicht hinreichen, um auch
nur auf einem Teile des grossen Ozeans eine effektive Herr-
schaft zu üben. Die Prätentionen einer derartigen Meeres-
beherrschung, wie wir ihnen im grössten Umfang bei Spaniern
und Portugiesen begegnet sind, konnten überhaupt nur in einer
Zeit entstehen, in der das Erfordernis der Effektivität jeglicher
Staatshoheit noch nicht allgemein anerkannt war, und die
Fiktionen im Völkerrecht noch eine bedeutende Rolle spielten.
Ein fingierter Souveränetätserwerb konnte sich allerdings