105
der eigenartigen öflentlichrechtlichen Natur der Gebietshoheit
und ihres Erwerbs mehr und mehr überzeugte, dass man hier
nicht ohne weiteres die Grundsätze des römischen Privat-
rechts anwenden könne, und diese demgemäss vielfachen
Modifikationen unterwarf, so behielt man doch ganz allge-
mein das hergebrachte Schema für die Erörterung der ein-
zelnen Erwerbsgründe bei.t)
Die Beibehaltung der hauptsächlichsten vom römischen
Recht aufgestellten Kategorien des Eigentumserwerbs lässt.
sich auch in der That bei einer Besprechung der Rechts-
gründe des völkerrechtlichen Gebietserwerbs nicht vermeiden;
denn jene Kategorien sind eben so sehr in der Natur der Sache
begründet, dass sie sich der wissenschaftlichen Betrachtung
mit Notwendigkeit aufträngen. Nur muss man sich stets
bewusst bleiben, dass die einzelnen privatrechtlichen Erwerbs-
titel im Bereiche des Völkerrechts eine durchaus verschiedene
Bedeutung haben und dieser entsprechend auch im einzelnen
von anderen Grundsätzen beherrscht werden. Auch ist bei
einigen privatrechtlichen Erwerbsgründen wegen ihres aus-
schliesslich auf private Verhältnisse berechneten Charakters
jede analoge Anwendung im Völkerrecht von vornherein aus-
geschlossen.
Von allgemeiner, auch für die Lehre vom völkerrechtlichen
Gebietserwerb giltiger Bedeutung ist die Unterscheidung von
ursprünglichen oder originären und abgeleiteten oder
1) Ein eigenartiges naturrechtliches System der einzelnen Erwerbs-
gründe giebt I. C. F. Meister, Lehrb. d. Naturrechts. 1808.