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Fällen nicht, wie es äusserlich sich darstellt, mit einem ab-
geleiteten Gebietserwerb durch Zession, sondern mit einer
auf vertragsmässiger Grundlage sich vollziehenden besondern
Art der Okkupation zu thun. 1) Von dieser wenigstens formell
auf den Willen der Bewohner des Gebiets gestützten, wesent-
lich modernen Gestaltung des okkupatorischen Gebietserwerbs
Soll weiter unten ausführlicher gehandelt werden.
Solange aber auf Grundlage eines solchen Vertrages mit
unzivilisierten Häuptlingen eine Okkupation nicht stattgefunden
hat, ist dem vertragschliessenden europäischen Staat auch
keine Gebietshoheit erworben, und es ist die Frage, ob für
denselben überhaupt irgendwelche Rechte aus dem Vertrage
entspringen. Der Vertrag ist zweifellos, vom streng juri-
stischen Standpunkt aus, kein völkerrechtlich giltiger und
wirksamer. Aber ebenso sicher ist es, dass derartige Verträge
von allen zivilisierten Staaten für verbindlich erachtet und
sowohl gegenüber den Eingeborenen als in ihren gegenseitigen
Beziehungen respektiert werden. In dieser Praxis der Staaten
gelangt die moderne Rechtsanschauung zum Ausdruck, wonach
auch solche Völker, welche wegen mangelnder staatlicher und
kultureller Entwickelung nicht als Glieder und Rechtssubjekte
der internationalen Rechtsgemeinschaft betrachtet werden
können, doch an den Wohlthaten des Völkerrechts teilnehmen
und so viel als möglich nach den Grundsätzen desselben be-
handelt werden sollen. Es entstehen auf diese Weise zwischen
) Vergl. die mit dieser Ansicht übereinstimmenden treffenden
Bemerkungen von F. v. Martitz im Arch. f. öff. R. Bd. I. S. 17. N. 55.
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