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gehörigen und vom Wiener Kongress für neutral erklärten
Grafschaften Chablais und Faucigny durch Frankreich ge-
schehen ist.
Auch wenn ein den Gegenstand eines Krieges bildendes
Gebiet während schwebenden Streites von dem besitzenden
Staat aus politischen Gründen an einen dritten unbeteiligten
Staat abgetreten wird, kann diese Abtretung vonseiten des
dadurch benachteiligten Gegners angefochten werden; er kann
in der Annahme des Gebiets durch den neutralen Staat jeden-
falls eine Verletzung von dessen Neutralitätsverpflichtungen
erblicken und ihm den Krieg erklären. Volle Giltigkeit er-
langt eine derartige Abtretung erst, wenn sie in dem den
Krieg abschliessenden Friedensvertrag auch von dem Gegner des
Zedenten ausdrücklich oder stillschweigend anerkannt wird.)
Unter die allgemeine Bezeichnung des Gebietserwerbs
durch Zession oder Abtretung lassen sich alle die einzelnen
nach ihrer Veranlassung und causa verschiedenen Erwerbs-
arten subsumieren, durch welche vermittelst zweiseitigen völker-
rechtlichen Rechtsgeschäfts die Gebietshoheit erworben wird.
) So erlangte die Abtretung der Stadt Dünkirchen, welche Karl II.
von England den Spaniern abnahm und 1662 an den König von Frank-
reich verkaufte, erst volle Giltigkeit durch die nach Beendigung des
Krieges erfolgte Zustimmung Spaniens im Utrechter Frieden. Anders
als in diesem Falle, wo unstrmeitig eine Verletzung der Neutralitätspflicht
Frankreichs gegenüber Spanien vorlag, verhält es sich mit der während
des österreichisch- italienischen Krieges i. J. 1866 erfolgten Abtretung
des streitigen Venctiens seitens Osterreichs an den Kaiser der Franzosen.
Diese Zession geschah nämlich auf beiden Seiten nicht sowohl in fraudem,
als in favorem tertü, d. h. zu gunsten Italiens, welchem das eben erwor-
bene Gebiet alsbald von Napolcon weiter zediert wurde.