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Der zweite Fall ist der der eigentlichen debellatio im
technischen Sinne: die Streitkräfte des feindlichen Staates
sind vernichtet, scin Gebiet ist besetzt, seine Regierung 2erstört,
Sein Ierrscher, falls er einen persönlichen Souverän besass,
vielleicht tot, gefangen oder geflüchtet; kurz der gesamte
Staatsorganismus ist aufgelöst, das Land mit seinen Bewoh-
abtretung, ähnlich wie bei der Eigentumsübertragung nach römischem und
germanischem Recht, einer Tradition, d. h. einer körperlichen oder
wenigstens sSymbolischen Besitzübertragung, bedarf. Wenn die privatrecht-
lich-patrimoniale Staatseigentumstheorie folgerichtig an dem Erfordernis
der Tradition festhielt, so wurde die Notwendigkeit derselben andererscits
von Grotius und der naturrechtlichen Schule, als lediglich im Zivilrecht
wurzelnd, für das Völkerrecht geleugnet. Vergl. Grotius, II 6. 1. 8 2
und II. 6. 25; desgl. Pufendorf, IV. 9. § 5ff. Unter den neueren Schrift-
stellern sind die Ansichten geteilt, und man wird kaum eine derselben als
dice herrschende bezeichnen dürfen. Für das Erfordernis der Besitz-
ergreifung scitens des Zessionars treten ein Heffter § 69 und Geffcken
ebendas. N. 2, Bluntschli § 286, Dudley Field, Draft Outlines of an
International Code, chap. 4, § 47. u. A.; dagegen wird Tradition
für überffüssig erklärt z B. von Ortolan, a. a. O. S. 72 fl. und von
Holtzendorff, a. a. O. § 58. — Wir möchten uns auch eher der letz-
teren Ansicht anschliessen; denn einmal entfällt für das Völkerrecht
die ratio iuris der privatrechtlichen Bestimmung, indem es der vertrags-
mässigen Gebietsabtretung nicht leicht an der erforderlichen Publizi-
tät fehlen wird, und andererseits ist das Erfordernis der Tradition
selbst für das Privatrecht in dem ausgedehnten Geltungsgebiet des
französischen Zivilrechts beseitigt. Es ist also im Zweifel anzunehmen,
dass die Gebietshoheit im Augenblicke der Perfektion des Zessionsver-
trages, d. h. mit sciner Ratifikation, für den Zecssionar erworben ist.
Dies findet sich in den Verträgen häufig ausdrücklich ausgesprochen.
Vergl. die Beispiele bei Ortolan, a. a. O. — Zur effcktiven Ausübung des
durch den Vertrag erworbenen Rechts ist allerdings die Besitzergreifung
des abgetretenen Gebiets erforderlich, und darum enthalten die Vertrüge
meist auch nähere Bestimmungen über Zeit und Ausführungsmodus der
Besitznahme. Unterbleibt die letztere während längerer Zeit, so kann
in dieser Unterlassung möglicherweisc eine Dereliktion des Gebietes ge-
funden werden, durch welche die bereits erworbene Gebietshoheit wieder
verloren geht.