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Rechtsanspruchs oder der Abwehr einer fremden Rechtsver-
letzung darstellt. Politische Machtinteressen sind für sich
allein nicht genügend, um einen Krieg völkerrechtlich zu recht-
fertigen, und darum ist ein reiner Eroberungskrieg schon
in früheren Zeiten nicht als ein iustum bellum betrachtet.
worden. Freilich bietet uns die Geschichte von den ältesten
Zeiten bis in unsere Tage nur allzu viele Beispiele von solchen
Eroberungskriegen, ohne dass das Völkerrecht im Stande ge-
wesen wäre, sie oder ihre Folgen zu verhindern. Ja, die
Staaten, welche derartige Kriege unternahmen, haben sich Sogar
häufig gerade auf das Völkerrecht berufen und ihre aus-
schweifenden Eroberungsgelüste mit den hinfälligsten Rechts-
vorwänden zu bemänteln gesucht. Die völkerrechtlichen An-
forderungen an einen gerechten Krieg sind eben, leider, mehr
theoretischer und moralischer Natur, und es ist zum mindesten
zweifelhaft, ob es dem fortgeschrittenen Rechtsbewusstsein
der Zukunft gelingen wird, denselben eine grössere praktische
Bedeutung zu verleihen.
Ubrigens ist die Grenze zwischen einer gerechten und
einer ungerechten Kricgsursache selbst für die unbefangene
Beurteilung nicht immer leicht zu ziehen. Mit Recht bemerkt
Bluntschli (§ 517), dass als rechtmässige Ursache zum
Krieg nicht bloss die Verletzung geschichtlich anerkannter und
erworbener Rechte, sondern ebenso die ungerechtfertigte Be-
hinderung der notwendigen neuen Rechtsbildung und der
fortschreitenden Rechtsentwickelung zu betrachten ist. „Meines
Erachtens“, sagt Bluntschli weiter, „ist das Recht eines Volkes,
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