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Allein wenn wir an der Hand der dargelegten Rechts-
grundsätze die bestehenden Besitzverhältnisse der zivilisierten
Staaten einer strengen Analyse unterziehen und nur den Be-
bar beruht der schiedsrichterliche Spruch steis auf einem Vertrag, und
die Verpflichtung, sich demselben zu fägen, ist an sich nur eine Ver-
tragsverbindlichkeit, welche einzelne Menschen und Staaten und Völker
oder Regierungen, unbeschadet ihrer vollen Selbständigkeit beliebig be-
gründen können, und deren Wirkungen dann nach den allgemeinen Grund-
sätzen von Verträgen ausgelegt und bestimmt werden müssen.“ Der
Schiedsspruch ist also nie ein selbständiger Rechtstitel.
Wenn er einem der Kontrahenten ein Recht zuspricht, so liegt der
Rechtsgrund desselben stets in der vertragsmässigen Willenserklärung
der Parteien, welche ihren bestimmten Inhalt erst durch den Spruch des
Schiedsrichters erhält, diesen Inbalt aber im Voraus mit rechtsverbind-
licher Kraft für die Vertragschliessenden begabt hat. Wenn also der
Schiedsrichter einem Staate die Gebietshoheit über ein be-
strittenes Stück Land zuspricht, so erlangt der Staat diese
nicht auf Grund des Schiedsspruchs, sondern entwelder, venn
das Land bisher im Besitz des Gegners sich befand, auf Grund von
dessen in dem Schiedsvertrag implicite und eventualiter
erklärtem Zessionswillen, oder, wenn das Gebiet noch von keinem
der Streitenden in Besitz genommen war, durch eine mit Zustimm-
ung des Gegners erfolgende Okkupation. An einem Gebhieie,
welches bisher keiner Herrschaft unterworfen war, kaon eben völker-
rechtlich eine solche nicht anders begründet werden, als durch Besitz-
ergreifung, velche ihren Rechtsgrund in sich selbst trägt und sich auf
keinen anderen Rechtstitel zu stützen braucht. Eine Befugnis, neues
Recht zu schaffen, wie es der römische Prätor durch die adiudicatio
konnte, kann nur für den staatlichen Richter und auf Grund staatlichen
Gesetzes besteben; in der Sphäre des Völkerrechts ist dafür kein Raum.
Ein völkerrechtlicher Schiedsspruch kann sich demnach
höchstens formel! als Rechtstitel eines Gebietserwerbs dar-
stellen; materiel! beruht dieser Erwerb stoets auf dem Ver-
tragswillen der Parteien. — In der von Geffcken als Beispiel an-
geführten San Juan-Frage tritt dies Verhältnis übrigens auch in der
formellen Fassung des Schiedsspruchs mit besonderer Deutlichkeit zu
Tage. Der Streit zwischen Grossbritannien und den Vereinigten Staaten
drehte sich um die Auslegung einer Grenzbestimmung in Art. 1 des
zwischen beiden Staaten abgeschlossenen Vertrags vom 15. Juni 1846.
Nach langen, fruchtlosen Verhandlungen kam man im Vertrag von