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entgegengesetzte Erklärung widerlegt werden, da es keinen
Völkerrechtssatz giebt, der diese Vermutung zu einer unwider-
leglichen, rechtlichen Präsumtion machte. Wenn also die
Präsumtion der Wirklichkeit nicht entspricht, so kann sie
auch kein Recht schaffen; ist sie dagegen begründet, liegt
wirklich eine Dereliktion vor, so vollzieht sich der Rechtser-
werb des neuen Besitzers nicht durch Verjährung, sondern
einfach durch oceupatio rei derelictae. Es liegt dann
nicht, wie bei der eigentlichen Acquisitiv-Verjährung ein
Rechtserwerb vor, der sich entgegen einem bestehenden Rechte
Vollzieht und mit dessen Vernichtung beendigt wird, sondern
der Erwerb kann sich vielmehr eben nur darum vollziehen, weil
ein entgegenstehendes Recht nicht mehr vorhanden ist. Dass
auch eine solche occupatio derelicti, wie jede andere Besitz-
ergreifung, vor Allem die occupatio bellica (debellatio), durch
lange unangefochtene Dauer des neubegründeten Rechtszu-
standes an Stärke und Sicherheit bedeutend gewinnen kann,
sol! nicht geleugnet werden. Allein diese Stärkung und
Sicherung sind lediglich politischer Natur; zur Begründung
des Rechts sind sie, streng juristisch genommen, nicht er-
forderlich. Sie bilden kein zur Perfektion des okkupatorischen
Gebietserwerbs erforderliches ergänzendes Momentt), sondern
) Dies ist die Funktion, welche der völkerrechtlichen Verjährung
von Twiss und von Fiore angewiesen wird. S. Twiss, I, § 128:
„Title by settlement, though originally imperfect, may be thus perfected
enjoyment during a reasonable lapse of time, the presumption of Law
from undisturbed possession being, that there is no prior owner, because
there is no claimant, and no better proprietary right, because there is
no asserted right.“ Und § 129: „Title by settlement, when set up as