47
Sonst findet sich ein derartiger Grundsatz in dem mo-
dernen Staatsrecht der zivilisierten Völker nicht. Wenn daher
ein Privater oder eine private Gesellschaft ohne staatlichen
Auftrag oder nachträgliche staatliche Genehmigung im eigenen
Namen die zum Begriff der Gebietshoheit gehörigen Rechte
über ein bestimmtes Gebiet erwirbt, so erwerben sie dieselben
nicht für ihren Heimatsstaat oder irgend einen andern Staat,
sondern, wenn dies rechtlich möglich ist, für sich selbst.
"„Wenn dies rechtlich möglich ist“, d. h. wenn wir die Frage
bejahen können, ob Privatpersonen oder privatrecht-
liche Gesellschaften staatliche Hoheitsrechte im
eigenen Namen erwerben und ausüben können.
Diese Frage bietet der juristischen Betrachtung zwei Seiten
dar. Vom Staatsrechtlichen Standpunkt aus dürfte im
allgemeinen nichts dagegen einzuwenden sein, dass ein Unter-
than eines Staates die Souveränetät über ein fremdes Terri-
torium erwerbe, wenn solches nicht durch das einheimische
Staatsrecht ausdrücklich ausgeschlossen ist, wie nach dem
oben Gesagten in England. 1) Freilich würde ein solches,
entschieden anomales Verhältnis in Wirklichkeit nie von
der britischen Kolonien in Kronkolonien (Crown-Colonies), Eigentümer-
kolonien (Proprietary-Colonies) und Schutzbriefkolonien (Charter-Colonies)
siche Creasy, a. a. O. Chap. III. S. 36 fl. und von Stengel, Die staats-
und völkerrechtl. Stellung der deutschen Kolonien, Berlin 1886. S. 45 fl.
) Uebrigens scheint selbst das englische Staatsrecht in seiner
neuesten Entwickelung an diesem Grundsatze nicht mehr so strenge fest-
zuhalten. Dies ergiebt sich besonders aus dem Verhalten der englischen
Regierung und des Parlaments gegenüber den Gebietserwerbungen der
Britih North Borneo Company. Vergl. darüber d. Näh. unten 8 55.