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gestattet, auf seinem Gebiet als herrschende Macht aufzu-
treten. Dies bedeutet gegenüber einem erwerbenden Staat,
dass dieser seine vorhandene Souverünectät auf das abgetretene
Gebiet ausdehnen darf, gegenüber einem privaten Erwerber,
dass er auf dem keinen fremden Hoheitsrechten oder An-
sprüchen mehr unterworfenen Territorium Regierungs- und
Verwaltungshandlungen vornehmen und allmählich einen
wirklichen Staat aufbauen darf. Die von dem neuen Erwerber
ausgeübten öffentlichen Rechte sind also nicht die demselben
angeblich von dem früheren Herrscher abgetretenen, sondern
auf Grund der politischen Unterwerlung des letzteren in der
Hand des Erwerbers neu entstandene Rechte.
Es handelt sich also in allen den Fällen, welche zu der
vorliegenden Untersuchung Veranlassung gaben, überhaupt
nicht um den Erwerb einer vorhandenen, sondern
um die Begründung einer neuen Souveränetät.
Der neue Staat ist aber nicht sofort mit dem seine Grund-
lage bildenden Gebietserwerb vorhanden. Die Staatenbildung
vollzieht sich lungsam und allmählich, und sie vollzicht sich
nicht unter dem Schutz, sondern ausserhalb des Völkerrechts.
Darum ist ein solches werdendes Staatsgebilde grossen
Gefahren ausgesetzt. Je blühender und rascher es sich ent-
wickelt, je grössere Hoffnungen für sein zukünftiges Gedeihen
1) Dies hat auch von Stengel, a. a. O. S. 48, richtig erkannt.
Derselbe sagt u. A. „Die von afrikanischen Königen, Sultanen u. s. w.
abgectretenen Rechte werden deshalb gewissermassen in der Hand des
Erwerbers mit Rücksicht auf seine Stellung etwas Anderes, als sie in der
Hand des Veräusserers waren.“