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zu lernen; es ist dann leicht, ihre Fortschritte und alle Folgen, die sich daraus
ergeben können, darzulegen. Ehe Machiavelli die verschiedenen Staatsformen an—
gab, hätte er meines Erachtens den Ursprung der Fürsten untersuchen und die
Gründe erwägen sollen, die freie Menschen veranlassen konnten, sich Herren zu
geben.
Vielleicht schien es ihm nicht geboten, in einem Buche, in dem das Ver—
brechen und die Tyrannei zum Gesetze erhoben wurden, das zu erwähnen, was
letztere vernichten mußte. Es würde Machiavelli schlecht angestanden haben zu
sagen, daß die Völker für ihre Ruhe und Erhaltung notwendig erachteten, Richter
zur Schlichtung ihrer Streitigkeiten zu haben, Beschützer ihres Eigentums Feinden
gegenüber, Oberhäupter, um ihre verschiedenen Interessen in einem großen ein—
heitlichen Gesichtspunkte zusammenzufassen; daß sie anfangs jene aus ihrer Mitte
wählten, die sie für die weisesten, gerechtesten und uneigennützigsten, menschlichsten,
tapfersten hielten, sie zu regieren. Gerechtigkeit ist also, würde man ihm entgegen-
gehalten haben, das höchste Ziel eines Fürsten; das Wohl des Volkes also, das er
regiert, muß er jedem anderen Vorteile vorziehen. Haben dann aber die Trug-
bilder des Eigennutzes, des äußeren Glanzes, des Ehrgeizes und der Herrscher-
wielkür noch Raum? Es ergibt sich, daß der Fürst, weit entfernt, der
unbeschränkte Gebieter der unter seiner Herrschaft stehenden
Völker zu sein, nur der erste Diener ist.
Kapitel 2. Es genügt nicht, daß der Fürst, wie Machiovelli sagt, eine ge-
wöhnliche Tätigkeit übe, sondern ich möchte auch, daß er sein Volk beglücke.
Ein zufriedenes Volk wird sich nicht empören wollen; ein glückliches Volk fürchtet
eher, seinen Fürsten, der zugleich sein Wohltäter ist, zu verlieren, als der Fürst
über die Vereinigung seiner Macht in Sorge sein könnte.
Kapitel 3. Das fünfzehnte Jahrhundert, in dem Machiavelli lebte, befand sich
noch im Zustande der Barbarei; da zog man den traurigen Ruhm der Eroberer
und die Taten, die durch äußern Glanz eine gewisse Hochachtung einflößen, der
Sanftmut, der Rechtlichkeit, der Milde und allen Tugenden vor; jetzt zieht man
die Menschlichkeit allen Eigenschaften eines Eroberers vor, und ist man nicht mehr
so unsinnig, wilde Leidenschaften, welche die Welt umstürzen, durch Lobeserhebungen
anzufeuern. Nicht die Größe des Landes, das ein Fürst beherrscht, verschafft ihm
seinen Ruhm; nicht sind es einige Meilen Landes mehr, die ihn berühmt machen,
denn sonst müßten diejenigen, welche die größte Ackerfläche besitzen, die achtungs-
wertesten Menschen sein.
Der Irrtum des Machiavelli über den Ruhm der Eroberer konnte zu seiner
Zeit wohl allgemein verbreitet sein, sicherlich aber war es die Schlechtigkeit nicht.
Es gibt nichts Abscheulicheres als gewisse Mittel, die er vorschlägt, das eroberte
Land zu behaupten; es ist nicht eines darunter, das vernünftig oder gerecht ist.
„Man muß,“ sagt dieser abscheuliche Mensch, „das Geschlecht der Fürsten, die vor-
her in dem eroberten Lande regierten, ausrotten.“ Kann man solche Vorschriften
ohne Schauder und Entrüstung lesen? Das heißt doch, alles, was einem heilig ist,
unter die Füße treten; alle Verbrechen in den Dienst des Eigennutzes stellen.
Was? wenn ein ehrgeiziger Mensch sich mit Gewalt der Staaten eines Fürsten
bemächtigt hat, soll er das Recht haben, ihn meuchlings umzubringen, ihn zu ver-
gisten! Aber dieser selbige Eroberer bringt, wenn er so handelt, ein Verfahren
zur Geltung, das seinen eigenen Untergang herbeiführen muß: ein noch Ehr-