Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Zweiter Teil. Deutsche, vornehmlich brandenburgisch-preußische Geschichte bis 1815. (2)

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mannswaren beschäftigen, oder ich ging auf die Zimmerplätze, wo wieder alles 
voll arbeitender Kriegsmänner steckte, ein andermal in die Kasernen usf. Da fand 
ich überall auch dergleichen, die hunderterlei Hantierungen trieben, von Kunst— 
werken an bis zum Spinnrocken. Kam ich auf die Hauptwache, so gab's da deren, 
die spielten und tranken, andere, welche ruhig ihr Pfeifchen schmauchten und sich 
unterhielten, etwa auch einen, der in einem erbaulichen Buche las und es den 
anderen erklärte. In den Garküchen und Bierbrauereien ging's ebenso her. Kurz, 
in Berlin gibt's unter dem Militär Leute aus allen vier Weltteilen, von allen 
Nationen und Religionen und von jedem Berufe, womit einer noch nebenzu sein 
Stückchen Brot gewinnen kann. 
Die zweite Woche mußte ich mich schon alle Tage auf dem Paradeplatze 
stellen, wo ich unvermutet drei meiner Landsleute, Schärer, Bachmann und Gästli, 
fand, die sich zumal alle mit mir unter gleichem Regimente, die beiden ersteren 
sogar unter der nämlichen Kompanie befanden. Da sollte ich vor allen Dingen 
unter einem mürrischen Korporal marschieren lernen. Den mochte ich aber vor den 
Tod nicht vertragen; wenn er mir gar auf die Füße klopfte, schoß mir das Blut 
in den Kopf. Unter seinen Händen hätte ich mein Lebtage nichts begreifen 
lönnen. Das bemerkte einst Hevel, der mit seinen Leuten auf dem gleiche Platze 
manövrierte, tauschte mich gegen einen anderen aus und nahm mich unter 
seine Abteilung. Das war mir eine Herzensfreude. Jetzt begriff ich in einer 
Stunde mehr als sonst in zehn Tagen. 
Schärer war ebenso arm als ich; allein er bekam ein paar Groschen Zulage 
und doppelte Portion Brot; der Major hielt ein gut Stück mehr auf ihn als auf 
mich. Indessen waren wir Herzensbrüder; so lange einer etwas zu brechen hatte, 
konnte der andere mitbeißen. Bachmann hingegen, der ebenfalls mit uns hauste, 
war filzig und harmonierte nie recht mit uns; und doch schien immer die Stunde 
einen Tag lang, wo wir nicht beisammen sein konnten. Gästli war liederlich und 
kam bald hernach ins Lazarett. Sobald das Exerzieren vorbei war, flogen Schärer 
und ich in Schottmanns Keller, tranken unseren Krug Ruppiner oder Kottbuser 
Bier, schmauchten ein Pfeischen und trillerten ein Schweizerlied. Immer horchten 
uns da die Brandenburger und die Pommern mit Lust zu. Etliche Herren ließen 
uns sogar oft expreß in die Garküche rufen, ihnen den Kuhreihen zu singen. 
Meist bestand der Lohn bloß in einer Suppe, aber in einer solchen Lage nimmt 
man auch noch mit weniger fürlieb. 
Oft erzählten wir einander unsere Lebensweise zu Hause, wie wohl es uns 
da war, wie frei wir gewesen, und was es hingegen hier für ein verwünschtes 
Leben sei u. dgl. Dann machten wir Pläne zu unserer Befreiung. Bald hatten 
wir Hoffnung, daß uns heute oder morgen deren einer gelingen möchte; bald 
hingegen sahen wir vor jedem einen unübersteiglichen Berg, und am meisten 
schreckte uns die Vorstellung der Folgen eines fehlschlagenden Versuches. Fast alle 
Wochen hörten wir nämlich neue ängstigende Geschichten von eingebrachten 
Deserteurs, die, wenn sie noch so viel List gebraucht, sich in Schiffer und andere 
Handwerksleute oder gar in Weibspersonen verkleidet, in Tonnen und Fässer ver- 
steckt hatten, dennoch ertappt worden waren. Da mußten wir zusehen, wie man 
sie durch 200 Mann achtmal die lange Gasse auf und ab Spießruten laufen ließ, 
bis sie atemlos hinsanken — und des folgenden Tages aufs neue dran mußten, 
wie die Kleider ihnen vom zerhackten Rücken heruntergerissen und wieder frisch 
darauf losgehauen wurde, bis Fetzen geronnenen Blutes herabhingen. Dann sahen
	        
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