Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Zweiter Teil. Deutsche, vornehmlich brandenburgisch-preußische Geschichte bis 1815. (2)

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2. 
An den Marschall Keith!). 
Nach der Schlacht bei Kolin, 18. Juni 1757. 
. . . Das Glück hat mir den Räücken gekehrt. Ich sollte darauf gefaßt sein; 
es ist ein Weib, und ich bin nicht galant. Ich hätte mehr Infanterie nehmen 
sollen; 23 Bataillone reichten nicht aus, um 60000 Mann aus einer vorteilhaften 
Stellung zu vertreiben. Die Erfolge, mein Teuerer, geben oft eine gefährliche 
Sicherheit; wir werden unsere Sache ein anderes Mal besser machen. Was sagen 
Sie zu dem Bündnisse, das nur den Marquis von Brandenburg zum Gegenstand 
hat? Der Große Kurfürst würde sehr erstaunt sein, wenn er' seinen Enkel im 
Kampf mit den Russen, Osterreichern, fast ganz Deutschland und 100000 Mann 
französischer Hilfstruppen sähe. Ich weiß nicht, ob es eine Schande für mich sein 
wird, zu erliegen, aber das weiß ich, daß es ein winziger Ruhm sein wird, mich 
zu besiegen. 
3. 
An den Marquis d'Argens?). 
(Leitmeritz), 19. Juli 1757. 
Das Mittel gegen meinen Schmerz liegt in der täglichen Arbeit, die ich zu 
tun verpflichtet bin, und in den fortgesetzten Zerstreuungen, die mir die Zahl 
meiner Feinde gewährt. Wenn ich bei Kolin getötet wäre, ich würde jetzt in 
einem Hafen sein, wo ich keinen Sturm mehr zu fürchten hätte. Jetzt muß ich 
noch über das stürmische Meer schiffen, bis ein kleiner Winkel Erde mir das Gut 
gewährt, das ich auf dieser Welt nicht habe finden können .. Seit zwei 
Jahren stehe ich wie eine Mauer, in die das Unglück Bresche geschossen hat. 
Aber denken Sie nicht, daß ich weich werde. Man muß sich schützen in diesen un- 
seligen Zeiten durch Eingeweide von Eisen und ein Herz von Erz, um alles Ge- 
fühl zu verlieren. Der nächste Monat wird entscheiden für mein armes Land. 
Meine Rechnung ist: ich werde es retten oder mit ihm untergehen. Sie können 
sich keinen Begriff machen von der Gefahr, in der wir sind, und von den 
Schrecken, die uns umgeben. 
4. 
An den Minister von Finkenstein. 
Quartier bei Tannenberg, 31. Aug. 1757. 
Haben Sie keine solche Furcht! Nichts ist verzweifelt oder verloren! Solange 
ich am Leben bin, werde ich mich halten und mich wie ein Löwe verteidigen. 
Wenn es um mich geschehen ist, so brauche ich mich nicht mehr darum zu 
kümmern, aber ich versichere Sie, nachdem ich Ihren Brief wiederholt gelesen 
habe, daß ich noch nichts fürchte. 
1) George Keith, Marschall von Schottland, 1751—1754 preußischer Gesandter zu 
Paris, war damals Gouverneur' von Neufchatel. Sein Bruder war der preußische Feld- 
marschall Keith, der am 14. Oktober 1758 bei Hochkirch fiel. 
*:) Der Marquis d'Argens, geboren 1704 zu Aix in der Provence, diente im fran- 
zösischen Heere bis 1734, kam 1741 nach Berlin und erlangte bald des Königs ganzes 
Vertrauen; er wurde Kammerherr und Direktor der Akademie für die Abteilung der 
schönen Wissenschaften.
	        
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