Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Zweiter Teil. Deutsche, vornehmlich brandenburgisch-preußische Geschichte bis 1815. (2)

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Der König kehrte am liebsten sowohl zu Mittag als zu Nacht auf dem Lande 
ein, und zwar allemal bei den Predigern, vermutlich weil es dort ruhiger war 
als in den Städten. Für die Prediger war dies ein großes Glück, nicht nur, weil 
sie wohl bisweilen bessere Pfarren erhielten, wenn sie dem Könige gefielen, 
sondern auch, weil er allemal für den Mittag 50 Taler und für das Nachtquartier 
100 Taler ihnen auszahlen ließ. Das Wenige, was der König verzehrte, wurde 
außerdem bezahlt. Zwar mochte sich dessen Bedienung wohl traktieren lassen, sie 
bestand aber immer nur aus wenigen einzelnen Personen. Nun hatte der König 
bei dem Prediger in Dolgelin beinahe allemal die letzte Nacht der Rückreise zu— 
gebracht; auch im verflossenen Jahre war er bei diesem eben erst neu angezogenen 
Prediger eingekehrt, hatte sich wohlwollend mit ihm unterhalten, und der hatte 
die 100 Taler empfangen. Er schmeichelte sich also, daß es auch heute geschehen 
würde, und hatte alle Anstalten gemacht. Wir warteten also dort und eine Menge 
Volks mit uns. Die Vorspannpferde standen geordnet, die Bauern, die reiten 
sollten, geputzt, und zehn Stück Pferde zu des Königs Wagen, hinten vier, die der 
Kutscher vom Bock fuhr, dann zweimal zwei, auf jedem Paar ein Bauernknecht 
und auf den vordersten zwei Vorreiter des Königs. 
Nun kam der Feldjäger auf einem Bauernpferde mit der großen Hetz— 
peitsche, ein Bauer als Begleiter mit ihm. Der Feldjäger, glühend von der Hitze, 
stieg ab, sagte, der König werde in fünf Minuten hier sein, besah die Vorspann— 
pferde und die Kerle mit den Wassereimern, die die Räder begießen sollten, 
stürzte ein ganzes Quart Bier hinunter, und da unterdessen sein Sattel auf ein 
anderes Bauernpferd gelegt war, stieg er auf, und im Galopp ging's weiter. 
Der König sollte also nicht in Dolgelin bleiben. Bald kam der Page, ebenso be— 
ritten, ein Jüngling von 17 bis 18 Jahren, ganz erschöpft an. Er mußte vom 
Pferde heruntergehoben und nachher wieder auf das frische hinaufgeholfen werden, 
weil er seiner kaum mehr mächtig war, und dicht hinter ihm kam der König. Er 
saß allein in seiner altmodischen Fensterkutsche, einem sogenannten vis-à-vis!). 
Diese Kutsche war sehr lang wie alle damaligen alten Wagen, zwischen dem 
Kutscherbock und dem Wagenkasten wenigstens vier Fuß Raum, der Kasten selbst 
birnenförmig, unten spitz und oben ausgebaucht. Der Wagen hielt, und der 
König sagte zu seinem Kutscher, dem berühmten Pfund: „Ist das Dolgelin?“ 
„Ja, Ihre Majestät!“ — „Hier will ich bleiben.“ „Nein," sprach Pfund, „die 
Sonne ist noch nicht unter. Wir kommen noch recht gut nach Müncheberg, und 
dann sind wir morgen viel früher in Potsdam.“ — „Nal — wenn es sein muß!“ 
Und damit wurde angespannt. Die Bauern, die von weitem ganz still mit ehr- 
erbietig gezogenen Hüten standen, kamen sachte näher und schauten den König be- 
gierig an. Eine alte Semmelfrau aus Lebbenichen nahm mich auf den Arm und 
hob mich gerade am Wagenfenster in die Höhe. Ich war nun höchstens eine Elle 
weit vom König entfernt, und es war mir, als ob ich den lieben Gott ansähe. 
Er sah ganz gerade vor sich hin durch, das Vorderfenster. Er hatte einen ganz 
  
widmen. Als der Krieg mit Frankreich unvermeidlich geworden war, trat er wieder in das 
Heer zurück und beteiligte sich an den Kämpfen 1813 und 1815 mit Auszeichnung. Im 
Jahre 1826 nahm er als Generalleutnant seinen Abschied und starb im Jahre 1837 in 
Friedersdorf. In seiner Verehrung für das Preußen Friedrichs des Großen war er ein 
Gegner aller Neuerungen nach dem Jahre 1807. 
1) Ein schmaler Wagen, in dem im Hintersitz nur eine Person und auf dem Rüchiitz 
auch eine Person Platz haben.
	        
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