Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Zweiter Teil. Deutsche, vornehmlich brandenburgisch-preußische Geschichte bis 1815. (2)

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Ich befand mich in dieser entsetzlichen Nacht neben unserem Kommandanten 
auf der Bastion „Preußen“, als dem höchsten Punkte, den unsere Wälle zum 
Überschauen darboten. Von hier aus konnten wir beinahe alle feindlichen Schanzen 
übersehen, und ebenso lag die Stadt vor uns. Es ist nicht auszusprechen, wie 
höllenmäßig das Aufblitzen und Donnern des Geschützes Schlag auf Schlag um 
uns her wütete, während auch das Feuer unserer Festung in seiner Antwort nichts 
schuldig blieb. In der Luft schwärmte es lichterloh von Granaten und Bomben; 
wir sahen sie hier und da und überall ihren lichten Bogen nach der Stadt hin- 
wälzen, hörten das Krachen ihres Zerspringens sowie das Einstürzen der Giebel 
und Häuser, vernahmen den wüsten Lärm, der drinnen wogte und toste, und 
waren Zeugen, wie bald hier, bald dort, wo es gezündet hatte, eine Feuer- 
flamme emporloderte. Von dem allen war die Nacht so hell, als ob tausend 
Fackeln brennten, und das gräßliche Schauspiel schien nicht ein Menschenwerk zu 
sein, sondern es sah aus, als ob alle Elemente in Aufruhr geraten wären, um sich 
einander zu zerstören. 
Was aber drinnen in der Stadt unter dem armen, wehrlosen Haufen vor- 
ging, ist vollends so jammervoll, daß meine Feder es nicht zu beschreiben ver- 
mag. Da gab es bald nirgends ein Plätzchen mehr, wo die zagende Menge vor 
dem drohenden Verderben sich hätte bergen mögen. Uberall zerschmetterte Ge- 
wölbe, einstürzende Böden, krachende Wände und aufwirbelnde Säulen von 
Dampf und Feuer; überall die Gassen wimmelnd von ratlos umherirrenden 
Flüchtlingen, die ihr Eigentum preisgegeben hatten und unter dem Gezisch der 
umherkreisenden feindlichen Feuerbälle sich von Tod und Verstümmelung verfolgt 
sahen; Geschrei von Wehklagenden, von Säuglingen und Kindern; Geschrei von 
Verirrten, die ihre Angehörigen in dem Gedränge und in der allgemeinen Ver- 
wirrung verloren hatten; Geschrei der Menschen, die mit Löschung der Flammen 
beschäftigt waren; Lärm der Trommeln, Geklirr der Waffen, Rasseln der Fuhr- 
werke — nein, es ist nicht möglich, das furchtbare Bild in seiner ganzen Lebendig- 
keit zu schildern. 
Als ich mich in diesem allgemeinen Tumult veranlaßt fand, einmal nach 
meinem eigenen Hause zu sehen, erwartete mich dort ein Anblick, der auch nicht 
dazu geeignet war, mich sonderlich zu erfreuen. Eine Bombe war, durch den 
Giebel einschlagend, durch zwei Böden bis in den Keller hinabgefahren und hatte, 
indem sie dort platzte, alles verschüttet. Außerdem waren überall im Hause die 
größten Verwüstungen angerichtet, die ganze Eingangsflur aufgerissen und eben- 
sowenig irgend eine Fensterscheibe als ein Ziegel auf dem Dache unbeschädigt ge- 
blieben... Wie gern aber hätte man jede eigene Not verschmerzt und vergessen 
gegen die niederschlagende Kunde, daß um 4 Uhr morgens die Maikuhle an den 
Feind verloren gegangen! Mitten unter dem heftigsten Bombardement, durch das 
unsere Aufmerksamkeit von dieser Seite hatte abgezogen werden sollen, war die Er- 
stürmung dieser wichtigen Schanze an der Hafenseite das Werk weniger Augenblicke 
gewesen . und damit unserer Verteidigung der rechte Arm abgehauen. Alsbald 
loderte das erst unlängst erbaute, 1900 Meter lange Gradierwerk der Saline, vom 
Feinde angezündet, in hellen Flammen auf, und das englische Schiff, das ich 
kaum zwei Tage zuvor mit Mühe hereingeführt, und das seine Ladung an 
Munition und Vorräten kaum erst zur Hälfte gelöscht hatte, kappte beim Vor- 
dringen der Franzosen die Ankertaue und gewann nur mit genauer Not unter 
einem dichten Kugelregen die offene See. So waren wir denn vom Meere ab-
	        
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