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geschnitten, fortan einzig unseren eigenen Kräften und Hilfsquellen überlassen, die
sich von Stunde zu Stunde immer mehr erschöpften. Mit wenig verminderter
Stärke hielt den ganzen Tag des 1. Julius das Bombardement an und häufte
Verwüstung auf Verwüstung. Das Gebäude auf dem ganz mit brennbaren
Stoffen angefüllten Festungsbauhofe brannte bis auf den Grund nieder; glück-
licher war man jedoch bei Rettung eines königlichen Kornmagazins, wo das Feuer
noch erstickt wurdie
Solchergestalt von Schrecken umgeben und auf noch Schrecklicheres gefaßt,
sahen wir der nächsten Nacht entgegen. Das feindliche Geschütz vereinigte sich zu
neuen, noch höheren Anstrengungen, und das anhaltende Geprassel einstürzender
Gebäude, fallender Ziegel und klirrender Fensterscheiben betäubte das Ohr der-
gestalt, daß auch der Donner des Feuers nicht selten überhört wurde. Alle
jammervollen Szenen der vorigen Nacht erneuerten sich in noch weiterem Um-
fange. Aber mitten in der ringsum drohenden Gefahr erzeugte sich auch all-
mählich bei vielen eine Gleichgültigkeit, die nichts mehr zu Herzen nahm. Wenn
auch nicht der Mut, so war doch die Kraft erschöpft; Anstrengung, Schlaflosigkeit,
immerwährende Anspannung des Gemüts und Sorge für Weib und Kind wirkten
auf die meisten mit solchem Gewichte, daß sie selbst in den Trümmern ihrer
Wohnung sich ein noch irgend erhaltenes Plätzchen ersahen, um den bis in den
Tod ermatteten Gliedern einige Ruhe zu gönnen. Da geschah es, daß eine Bombe,
verderblicher als alle übrigen, in denjenigen Teil des Rathauses niederfuhr, wo
sich die Ratswage befand, und ein hellaufflackerndes Feuer war die unmittel-
bare Folge ihres Zerspringens. Als naher Nachbar sprang ich auf, um, was ohne-
hin mein angewiesener Beruf war, schnelle Anstalten zur Brandlöschung zu be-
treiben; denn an der Erhaltung des ansehnlichen Gebäudes, in welchem unsere
Stadtarchive und viele andere wertvolle Sachen aufbewahrt lagen, mußte uns
allen vorzüglich gelegen sein. Aber ringsum in meiner Nachbarschaft regte sich
keine menschliche Seele zum Löschen und Retten. Ich rannte hierhin und dorthin
zu den nächsten Bekannten, braven und wackeren Männern, aber cchlaftrunken und
ohne Gefühl für die drohende Gefahr nahmen sie mein Bitten und Ermuntern
ebenso gleichgültig auf wie mein Schelten und Toben . So eilte ich, das nächste
Wachthaus auf dem Walle zu erreichen und den dort kommandierenden Offizier
um schleunigen Beistand zu bitten. Wild stürmte ich in das halbdunkle Wacht-
zimmer hinein. Ich sehe auf der Pritsche sich eine Gestalt regen, die ich nicht er-
kenne. „Bester Mann, zu Hilfe!“ rufe ich, „das Rathaus steht in Flammen!“ —
„Ach, du armer Nettelbeck!“ spricht der Offizier, sich mir gegenüber erhebend und
meinen Schrei weniger als mein Jammerbild betrachtend. Jetzt erst an der
Stimme erkenne ich ihn, es ist — Gneisenau. Er hört, er erfährt; er gibt mir
einen Adjutanten samt einem Tambour mit; die Lärmtrommel wird gerührt;
Soldaten erscheinen; Patrouillen durchziehen die Straßen; durch kräftigere Lösch-
anstalten werden zwei Seiten des ein großes Viereck bildenden Gebäudes er-
halten, während der schon ergriffene Teil bis zum Abend des folgenden Tages in
sich selbst niederbrennt und fortglimt
So besonnen, wo es handeln galt, so allgegenwärtig gleichsam, wo eine Ge-
fahr nahte, so beharrlich, wo nur die angespannte Kraft zum Ziele führen konnte,
wie der Kommandant in dieser furchtbaren Nacht sich zeigte, hatte er immer und
überall seit dem ersten Augenblick seines Auftretens sich erwiesen. Seit Wochen
war er so wenig in ein Bett wie aus den Kleidern gekommen. Nur einzelne