Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Zweiter Teil. Deutsche, vornehmlich brandenburgisch-preußische Geschichte bis 1815. (2)

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geschnitten, fortan einzig unseren eigenen Kräften und Hilfsquellen überlassen, die 
sich von Stunde zu Stunde immer mehr erschöpften. Mit wenig verminderter 
Stärke hielt den ganzen Tag des 1. Julius das Bombardement an und häufte 
Verwüstung auf Verwüstung. Das Gebäude auf dem ganz mit brennbaren 
Stoffen angefüllten Festungsbauhofe brannte bis auf den Grund nieder; glück- 
licher war man jedoch bei Rettung eines königlichen Kornmagazins, wo das Feuer 
noch erstickt wurdie 
Solchergestalt von Schrecken umgeben und auf noch Schrecklicheres gefaßt, 
sahen wir der nächsten Nacht entgegen. Das feindliche Geschütz vereinigte sich zu 
neuen, noch höheren Anstrengungen, und das anhaltende Geprassel einstürzender 
Gebäude, fallender Ziegel und klirrender Fensterscheiben betäubte das Ohr der- 
gestalt, daß auch der Donner des Feuers nicht selten überhört wurde. Alle 
jammervollen Szenen der vorigen Nacht erneuerten sich in noch weiterem Um- 
fange. Aber mitten in der ringsum drohenden Gefahr erzeugte sich auch all- 
mählich bei vielen eine Gleichgültigkeit, die nichts mehr zu Herzen nahm. Wenn 
auch nicht der Mut, so war doch die Kraft erschöpft; Anstrengung, Schlaflosigkeit, 
immerwährende Anspannung des Gemüts und Sorge für Weib und Kind wirkten 
auf die meisten mit solchem Gewichte, daß sie selbst in den Trümmern ihrer 
Wohnung sich ein noch irgend erhaltenes Plätzchen ersahen, um den bis in den 
Tod ermatteten Gliedern einige Ruhe zu gönnen. Da geschah es, daß eine Bombe, 
verderblicher als alle übrigen, in denjenigen Teil des Rathauses niederfuhr, wo 
sich die Ratswage befand, und ein hellaufflackerndes Feuer war die unmittel- 
bare Folge ihres Zerspringens. Als naher Nachbar sprang ich auf, um, was ohne- 
hin mein angewiesener Beruf war, schnelle Anstalten zur Brandlöschung zu be- 
treiben; denn an der Erhaltung des ansehnlichen Gebäudes, in welchem unsere 
Stadtarchive und viele andere wertvolle Sachen aufbewahrt lagen, mußte uns 
allen vorzüglich gelegen sein. Aber ringsum in meiner Nachbarschaft regte sich 
keine menschliche Seele zum Löschen und Retten. Ich rannte hierhin und dorthin 
zu den nächsten Bekannten, braven und wackeren Männern, aber cchlaftrunken und 
ohne Gefühl für die drohende Gefahr nahmen sie mein Bitten und Ermuntern 
ebenso gleichgültig auf wie mein Schelten und Toben . So eilte ich, das nächste 
Wachthaus auf dem Walle zu erreichen und den dort kommandierenden Offizier 
um schleunigen Beistand zu bitten. Wild stürmte ich in das halbdunkle Wacht- 
zimmer hinein. Ich sehe auf der Pritsche sich eine Gestalt regen, die ich nicht er- 
kenne. „Bester Mann, zu Hilfe!“ rufe ich, „das Rathaus steht in Flammen!“ — 
„Ach, du armer Nettelbeck!“ spricht der Offizier, sich mir gegenüber erhebend und 
meinen Schrei weniger als mein Jammerbild betrachtend. Jetzt erst an der 
Stimme erkenne ich ihn, es ist — Gneisenau. Er hört, er erfährt; er gibt mir 
einen Adjutanten samt einem Tambour mit; die Lärmtrommel wird gerührt; 
Soldaten erscheinen; Patrouillen durchziehen die Straßen; durch kräftigere Lösch- 
anstalten werden zwei Seiten des ein großes Viereck bildenden Gebäudes er- 
halten, während der schon ergriffene Teil bis zum Abend des folgenden Tages in 
sich selbst niederbrennt und fortglimt 
So besonnen, wo es handeln galt, so allgegenwärtig gleichsam, wo eine Ge- 
fahr nahte, so beharrlich, wo nur die angespannte Kraft zum Ziele führen konnte, 
wie der Kommandant in dieser furchtbaren Nacht sich zeigte, hatte er immer und 
überall seit dem ersten Augenblick seines Auftretens sich erwiesen. Seit Wochen 
war er so wenig in ein Bett wie aus den Kleidern gekommen. Nur einzelne
	        
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