Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Zweiter Teil. Deutsche, vornehmlich brandenburgisch-preußische Geschichte bis 1815. (2)

184 — 
101. 
Fichte. 
Quelle: Fichte, Reden an die deutsche Nation. Berlin 1869. Aus der 
12. Rede. S. 119—121. 
Die Erziehung, die wir den Deutschen zu ihrer künftigen Nationalerziehung 
vorschlagen, ist nun sattsam beschrieben. Wird das Geschlecht, das durch sie ge- 
bildet ist, nur einmal dastehen, dieses lediglich durch seinen Geschmack am Rechten 
und Guten und schlechthin durch nichts anderes getriebene, dieses mit einem Ver- 
stande, der für seinen Standpunkt ausreichend, das Rechte allemal sicher erkennt, 
versehene, dieses mit jeder geistigen und körperlichen Kraft, das Gewollte allemal 
durchzusetzen, ausgerüstete Geschlecht, so wird alles, was wir mit unseren kühnsten 
Wünschen begehren können, aus seinem Dasein von selbst sich ergeben und aus 
ihm natürlich hervorwachsen. Diese Zeit bedarf unserer Vorschriften so wenig, daß 
wir vielmehr von ihr zu lernen haben würden. 
Da inzwischen dieses Geschlecht noch nicht gegenwärtig ist, sondern erst herauf- 
erzogen werden soll, und, wenn auch alles über unser Erwarten trefflich gehen sollte, 
wir dennoch eines beträchtlichen Zwischenraumes bedürfen werden, um in jene Zeit 
hinüberzukommen, so entsteht die näherliegende Frage, wie sollen wir uns auch nur 
durch diesen Zwischenraum hindurchbringen? Wie sollen wir, da wir nichts Besseres 
können, uns erhalten, wenigstens als den Boden, auf dem die Verbesserung vor- 
gehen, und als den Ausgangspunkt, an den jene sich anknüpfen könne? . . . . . 
Wer sich ohne Aufmerksamkeit auf sich selbst gehen und von den Umständen 
sich gestalten läßt, wie sie wollen, der gewöhnt sich bald an jede mögliche 
Ordnung der Dinge. So sehr auch sein Auge durch etwas beleidigt werden 
mochte, als er es das erste Mal erblickte, laßt es nur täglich auf dieselbe Weise 
wiederkehren, so gewöhnt er sich daran und findet es späterhin natürlich und als 
eben so sein müssend, gewinnt es zuletzt gar lieb, und es würde ihm mit der 
Herstellung des ersten besseren Zustandes wenig gedient sein, weil dieser ihn aus 
seiner nun einmal gewohnten Weise zu sein herausrisse. Auf diese Weise gewöhnt 
man sich sogar an Sklaverei, wenn nur unsere sinnliche Fortdauer dabei un- 
gekränkt bleibt, und gewinnt sie mit der Zeit lieb; und dies ist eben das ge- 
fährlichste an der Unterworfenheit, daß sie für alle wahre Ehre abstumpft und 
sodann ihre sehr erfreuliche Seite hat für den Trägen, indem sie ihn mancher 
Sorge und manches Selbstdenkens überhebt. 
Laßt uns auf der Hut sein gegen diese Uberraschung der Süßigkeit des 
Dienens; denn diese raubt sogar unseren Nachkommen die Hoffnung künftiger Be- 
freiung. Wird unser äußeres Wirken in hemmende Fesseln geschlagen, 
laßt uns desto kühner unseren Geist erheben zum Gedanken der Freiheit, 
zum Leben in diesem Gedanken, zum Wünschen und Begehren nur dieses 
einigen. Laßt die Freiheit auf einige Zeit verschwinden aus der sichtbaren Welt; 
geben wir ihr eine Zuflucht im Innersten unserer Gedanken so lange, bis um uns 
herum die neue Welt emporwachse, die da Kraft habe, diese Gedanken auch äußer- 
lich darzustellen. Machen wir uns mit demjienigen, was ohne Zweifel unserem 
Ermessen frei bleiben muß, mit unserem Gemüte, zum Vorbilde, zur Weissagung, 
zum Bürgen desjenigen, was nach uns Wirklichkeit werden wird. Lassen wir 
nur nicht mit unserem Körper zugleich auch unseren Geist niedergebeugt 
und unterworfen und in die Gefangenschaft gebracht werden!
	        
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