Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Zweiter Teil. Deutsche, vornehmlich brandenburgisch-preußische Geschichte bis 1815. (2)

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Übung, Begeisterung der Ehre, Ruhm, aber keine Tugenden, wodurch Völker edel 
sind. O, gebt mir die treuen, biederen Völker und laßt einen kräftigen, herrlichen 
Mann auftreten und Leben in sie bringen, einen kühnen Gebieter, der das Gute 
und Gerechte darstellen und dafür begeistern kann: fester Grund der Menschlichkeit 
wird windige Ehre zerstäuben, und einmal zerstoben, ist sie wie der Wind zer- 
flogen! Wahrlich, die Menschen sind noch Menschen — wie sollten denn die Fran- 
zosen fallen! 
Man spricht: „Die Franzosen sind zu geübt, zu gewandt; kein Volk tut es 
ihnen in Bewegungen und ihren Feldherren in Künsten und Listen gleich; da- 
durch werfen und überwinden sie alles.“ Ich sehe das nicht von allen; und wenn 
sie leicht sind, so wisset, daß Fechterkünste in Feldschlachten zerrinnen. Aber ihre 
Feinde waren betört und verwirrt; die Feldherren ohne Rat, die Heere ohne Geist, 
der Glaube, daß die Franzosen alles dies könnten und seien, hatte sie voraus 
behext. Und ist des Franzosen Element wirklich Leichtigkeit und List; ist der Krieg 
wirklich so sehr Maschinerie, als die großen Feldherren gestehen, daß er nicht ist: 
warum greifen die Gegner sie nicht mit dem Element ihrer Kraft an und be- 
siegen sie dadurch? Soll der Ochs mit dem Maul gegen den Wolf kämpfen, weil 
dieser scharfe Zähne hat? Oder soll der Elefant den Schwanz gebrauchen gegen 
den Lindwurm? Deutsche Feldherren, kenntet ihr cuer Volk! Grade, einfältig, 
stark und tapfer ist es; Listen und Künste gelingen ihm selten. Warum laßt ihr 
euch denn darauf ein gegen die Listigen und Gewandten? Ihre List zerrinnt, wie 
ihr mit dem Vertrauen der Stärke, Treue, Tapferkeit grade drauf geht; wie ihr 
die Schnellen schneller angreifet, die für das Gaukelbild kleiner Ehre Begeisterten 
bestürmt, begeistert für Recht und Vaterland. Aber habt ihr nichts als Fäuste, so 
wisset, durch bloße Fäuste wird diese Welt weder befreit, noch bezwungen. 
105. 
Die Tiroler im Jahre 1809. 
1. Quelle: Handschreiben des Kaisers Franz an die Tiroler. 
Fundort: Hormayr, Das Heer von Innerösterreich .. im Kriege von 1809 .. 2. Aufl. Leipzig 1848. 
. 187. 
Volkersdorf, den 1. Juni 1809. 
Meine lieben getreuen Stände Tirols! 
Das kindliche Vertrauen, welches ihr in euerer Zuschrift vom 11. Mai be— 
zeuget!), und euer rühmliches Vorhaben, standhaft auszuharren, bei vorüber- 
gehenden Kriegsunfällen den Mut nicht sinken zu lassen, hat mir neuerdings be- 
wiesen, daß ihr noch immer jenes biedere, Gott und seinen rechtmäßigen Landes- 
fürsten mit unerschütterlicher Treue anhängendes Volk seid; darum waret ihr auch 
meinem Herzen stets teuer. Ihr habt bereits mein heiliges Wort, daß ich euch 
nie verlassen, daß ich alle Kräfte aufbieten werde, um die noch drohenden Ge- 
fahren von euch abzuwenden; nie werde ich dieser feierlich übernommenen Ver- 
pflichtung uneingedenk sein. Ist es gleich dem Feinde gelungen, augenblickliche 
Vorteile zu erringen; hat er gleich diese benutzt, einen Teil meiner Provinzen zu 
1) Diese Zuschrift war die Antwort auf ein kaiserliches Schreiben vom 18. April, 
dessen. Hauptgedanke in die Worte zusammengefaßt ist: „Ich zähle auf euch, ihr könnt 
auf mich zählen, und mit göttlichem Beistande soll Osterreich und Tirol so vereinigt 
bleiben, wie es eine lange Reihe von Jahren hindurch vereinigt war.“
	        
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