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machten, ohne Nahrung, in alte Lumpen oder gegerbte Tierhäute eingehüllt, von
der fürchterlichsten Kälte und vom Hunger halb wahnsinnig, mit Verzweiflung in
den Gebärden, ihrem gewissen Untergang entgegengehen zu sehen; und doch
preßte dieser erbarmungswürdige, einer Maskerade gleichende Zug öfters ein un-
willkürliches Lächeln dem, der selbst mit all diesem Elend zu kämpfen hatte, beim
Anblick mancher seiner Unglücksgefährten aus .
2. Quelle: 29. Bulletin der Grande Armée nach dem Übergang über
die Beresina.
Übersetzung: Lambeck, Der Feldzug in Rußland 1812. Leipzig o. J. S. 14—16.
Molodetschno), den 3. Dezember.
Bis zum 6. November war das Wetter vortrefflich und die Bewegungen der
Armee gingen mit dem besten Erfolg vor sich. Die Kälte begann mit dem 7.
Von diesem Tage an verloren wir in Smolensk mehrere hundert Pferde, die
beim Biwak umfielen. Als wir in Smolensk ankamen, hatten wir schon eine be-
trächtliche Anzahl Artillerie= und Kavalleriepferde eingebüßt . In der Nacht vom
14. auf den 15. und 16. zeigte das Wetterglas 16—18 Grad Reaumur unter dem
Gefrierpunkt. Die Wege waren mit Glatteis überdeckt; die Kavallerie-, Artillerie-
und Trainpferde fielen jede Nacht in Mengen um, nicht bei Hunderten, sondern
bei Tausenden; vor allen die deutschen und französischen Pferde. Über 30 000
Pferde kamen in Zeit von wenigen Tagen um. Unsere meiste Kavallerie war un-
beritten, unsere Artillerie und Transportwagen ohne Bespannung. Wir mußten
einen großen Teil unserer Kanonen im Stich lassen und zerstören, sowie einen
großen Teil unseres Kriegs= und Mundvorrass
Den 26. ließ der Kaiser, nachdem er den ganzen 25. den Feind durch mehrere
Bewegungen irre geführt, die Armee auf das Dorf Studianca#) vorrücken und
alsbald, in Gegenwart einer feindlichen Division und trotz ihres Widerstandes,
zwei Brücken über den Fluß schlagen. Der Herzog von Reggios) ging zuerst
herüber, griff den Feind an und schlug ihn zwei Stunden Weges zurück In
den Tagen des 26. und 27. ging die ganze Armee über den Flsf . . .
Die Armee, ohne Kavallerie, mit wenig Munition, durch einen Marsch von
50 Tagen schrecklich ermüdet, ihre Kranken und in so viel Gefechten Verwundeten
mit sich führend, bedurfte des Augenblicks, wo sie ihre Magazine erreichen konnte
Alle verwundeten Offiziere und Soldaten, alles, was auf dem Wege auf-
hält, Gepäck usw., ist nach Wilna geschickt worden.
Während der ganzen Bewegung der Armee marschierte der Kaiser beständig
im Mittelpunkte seiner Garde Se. Majestät sind mit dem guten Geiste zu-
frieden gewesen, der die Garde beseelt hat; sie hat sich beständig fertig gezeigt, in
jedem erforderlichen Fall sich dahin zu begeben, wo es die Gefahr verlangt haben
würde; aber die Umstände sind immer so beschaffen gewesen, daß ihre bloße
Gegenwart hingereicht hat und sie nie in den Fall gekommen ist, zu schlagen
Unsere Kavallerie war dergestalt unberitten, daß man sich veranlaßt gefunden
hat, alle Offiziere, denen noch ein Pferd übrig blieb, in ein Korps zu vereinigen,
welches vier Kompagnien, jede von 150 Mann, bildete. Die Generale verrichteten
1) Zwischen Borissow und Wilna.
2) Studjenka an der Beresina oberhalb Borissow.
2) Oudinot.