Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Zweiter Teil. Deutsche, vornehmlich brandenburgisch-preußische Geschichte bis 1815. (2)

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machten, ohne Nahrung, in alte Lumpen oder gegerbte Tierhäute eingehüllt, von 
der fürchterlichsten Kälte und vom Hunger halb wahnsinnig, mit Verzweiflung in 
den Gebärden, ihrem gewissen Untergang entgegengehen zu sehen; und doch 
preßte dieser erbarmungswürdige, einer Maskerade gleichende Zug öfters ein un- 
willkürliches Lächeln dem, der selbst mit all diesem Elend zu kämpfen hatte, beim 
Anblick mancher seiner Unglücksgefährten aus . 
2. Quelle: 29. Bulletin der Grande Armée nach dem Übergang über 
die Beresina. 
Übersetzung: Lambeck, Der Feldzug in Rußland 1812. Leipzig o. J. S. 14—16. 
Molodetschno), den 3. Dezember. 
Bis zum 6. November war das Wetter vortrefflich und die Bewegungen der 
Armee gingen mit dem besten Erfolg vor sich. Die Kälte begann mit dem 7. 
Von diesem Tage an verloren wir in Smolensk mehrere hundert Pferde, die 
beim Biwak umfielen. Als wir in Smolensk ankamen, hatten wir schon eine be- 
trächtliche Anzahl Artillerie= und Kavalleriepferde eingebüßt . In der Nacht vom 
14. auf den 15. und 16. zeigte das Wetterglas 16—18 Grad Reaumur unter dem 
Gefrierpunkt. Die Wege waren mit Glatteis überdeckt; die Kavallerie-, Artillerie- 
und Trainpferde fielen jede Nacht in Mengen um, nicht bei Hunderten, sondern 
bei Tausenden; vor allen die deutschen und französischen Pferde. Über 30 000 
Pferde kamen in Zeit von wenigen Tagen um. Unsere meiste Kavallerie war un- 
beritten, unsere Artillerie und Transportwagen ohne Bespannung. Wir mußten 
einen großen Teil unserer Kanonen im Stich lassen und zerstören, sowie einen 
großen Teil unseres Kriegs= und Mundvorrass 
Den 26. ließ der Kaiser, nachdem er den ganzen 25. den Feind durch mehrere 
Bewegungen irre geführt, die Armee auf das Dorf Studianca#) vorrücken und 
alsbald, in Gegenwart einer feindlichen Division und trotz ihres Widerstandes, 
zwei Brücken über den Fluß schlagen. Der Herzog von Reggios) ging zuerst 
herüber, griff den Feind an und schlug ihn zwei Stunden Weges zurück In 
den Tagen des 26. und 27. ging die ganze Armee über den Flsf . . . 
Die Armee, ohne Kavallerie, mit wenig Munition, durch einen Marsch von 
50 Tagen schrecklich ermüdet, ihre Kranken und in so viel Gefechten Verwundeten 
mit sich führend, bedurfte des Augenblicks, wo sie ihre Magazine erreichen konnte 
Alle verwundeten Offiziere und Soldaten, alles, was auf dem Wege auf- 
hält, Gepäck usw., ist nach Wilna geschickt worden. 
Während der ganzen Bewegung der Armee marschierte der Kaiser beständig 
im Mittelpunkte seiner Garde Se. Majestät sind mit dem guten Geiste zu- 
frieden gewesen, der die Garde beseelt hat; sie hat sich beständig fertig gezeigt, in 
jedem erforderlichen Fall sich dahin zu begeben, wo es die Gefahr verlangt haben 
würde; aber die Umstände sind immer so beschaffen gewesen, daß ihre bloße 
Gegenwart hingereicht hat und sie nie in den Fall gekommen ist, zu schlagen 
Unsere Kavallerie war dergestalt unberitten, daß man sich veranlaßt gefunden 
hat, alle Offiziere, denen noch ein Pferd übrig blieb, in ein Korps zu vereinigen, 
welches vier Kompagnien, jede von 150 Mann, bildete. Die Generale verrichteten 
1) Zwischen Borissow und Wilna. 
2) Studjenka an der Beresina oberhalb Borissow. 
2) Oudinot.
	        
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