Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Zweiter Teil. Deutsche, vornehmlich brandenburgisch-preußische Geschichte bis 1815. (2)

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maßen an: „Meine Herren, ich sollte um 11 Uhr einen zweiten Vortrag halten, 
ich werde die Zeit aber benutzen, um über einen Gegenstand mit Ihnen zu 
sprechen, der wichtiger ist. Der Aufruf Seiner Majestät an die Jugend, sich frei— 
willig zu bewaffnen, ist erschienen oder wird noch heute an Sie ergehen. Dieser 
wird Gegenstand meiner Rede sein. Machen Sie meinen Entschluß allenthalben 
bekannt. Ich erwarte so viele, als der Raum zu fassen vermag.“ 
Die Bewegung in der Stadt war grenzenlos, alles wogte hin und her, jeder 
wollte etwas erlauschen, irgend etwas vernehmen, das der immer stärker heran— 
wachsenden Gärung eine bestimmte Richtung geben konnte; Unbekannte sprachen 
sich an und standen sich Rede, die vielen Tausende, die aus allen Gegenden nach 
Breslau strömten, wogten mit den aufgeregten Einwohnern auf den Straßen, 
drängten sich zwischen heranziehende Truppen, Munitionswagen, Kanonen, 
Ladungen von Waffen aller Art; ein ausgesprochenes Wort, wenn es irgend eine 
Beziehung auf die Angelegenheiten des Staates hatte, wurde urplötzlich und wie 
mit gewaltiger, lauter Stimme von allen gehört. Noch waren die zwei zwischen— 
liegenden Stunden kaum zur Hälfte verflossen, als eilig und mit heftiger Auf— 
regung eine große Masse meiner Wohnung, in der sich mein Hörsaal befand, zu- 
strömte. Der Hörsaal war gedrängt voll. In den Fenstern standen viele, die Tür 
konnte nicht geschlossen werden, auf dem Korridor, auf der Treppe, selbst auf 
der Straße bis in bedeutender Entfernung von meinem Hause wimmelte es von 
Menschen. Es dauerte lange, ehe ich den Weg zu meinem Katheder fand . Ich 
hatte diese zwei Stunden in einem seltsamen Zustande zugebracht. Was ich sagen 
wollte, regte mein ganzes innerstes Dasein aufj ich sollte jetzt und unter solchen 
Verhältnissen aussprechen, was fünf Jahre hindurch zentnerschwer auf meinem 
Gemüte gelastet hatte; ich sollte der Erste sein, der nun öffentlich laut aussprach, 
wie jetzt der Rettungstag von ganz Deutschland, ja von ganz Europa da war. 
Die innere Bewegung war grenzenlos. Vergebens suchte ich Ordnung in meine 
Gedanken zu bringen, aber Geister schienen mir zuzuflüstern, mir Beistand zu ver- 
sprechen, ich sehnte mich nach dem Ende dieser quälenden Einsamkeit; nur ein 
Gedanke trat vorherrschend hervor: Wie oft hast du dich beklagt, sagte ich mir, 
daß du hier in diese Ecke von Deutschland hingeschleudert wurdest, und sie ist jetzt 
der alles ergreifende, begeisternde Mittelpunkt geworden; hier fängt eine neue 
Epoche in der Geschichte an, und was diese wogende Menschenmenge bewegt, 
darfst du aussprechen. Tränen stürzten mir aus den Augen, ich fiel auf die Knie, 
ein Gebet beruhigte mich. So trat ich unter die Menge und bestieg mein 
Katheder. Was ich sprach, ich weiß es nicht, selbst wenn man mich nach dem 
Schlusse der Rede gefragt hätte, ich würde keine Rechenschaft davon ablegen 
können. Es war das drückende Gefühl unglücklich verlebter Jahre, das jetzt Worte 
fand; es war das warme Gefühl der zusammengepreßten Menge, das auf meiner 
Zunge ruhte. Nichts Fremdes verkündete ich. Was ich sagte, war die stille Rede 
aller, und sie machte eben deswegen wie ein Echo aus der eigenen Seele eines 
jeden einen tiefen Eindruck. Daß ich, indem ich die Jugend so aufforderte, zugleich 
meinen Entschluß erklärte, mit ihnen den Kampf zu teilen, versteht sich von selbst. 
Nach geschlossener Rede stand ich wieder in der einsamen Stube. Das ist nun 
getan, sprach ich, und fühlte mich erleichtert, als wäre eine schwere Last mir von 
der Brust gewälzt. Aber eine neue Sorge drängte sich mir auf. Jetzt, sagte ich 
mir, nach dieser Stunde ist deine ganze Stellung im Leben verändert, du bist 
durch dein Versprechen ein Krieger geworden, und wie soll der Entschluß aus-
	        
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