Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Zweiter Teil. Deutsche, vornehmlich brandenburgisch-preußische Geschichte bis 1815. (2)

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Oberflächlichkeit der eigenen Ansicht neben der Gründlichkeit und Umsicht der 
seinigen anzuerkennen, und wenn er auch unwillig widerstrebte und halsstarrig die 
eigene Meinung beizubehalten beschloß, so wagte er doch kaum, sein Wider- 
streben zu äaußen 
Neben diesem großen Manne saß ich nun in dem aufgeregtesten Augenblick 
meines Lebens, damit er meine nächsten Schritte lenken sollte. Die Neigung, nicht 
allein sich freiwillig zum Kampfe zu stellen, sondern den Grundsatz der Frei- 
willigkeit in den Truppenkorps, die man bildete, festzuhalten, hatte sich schon ent- 
schieden ausgesprochen. Jahn war nach Breslau gekommen, um dort den Grund 
zu legen zur Bildung freiwilliger Korps, die den kleinen Krieg auf eine selbständige 
Weise führen sollten. Der Entschluß, in eins der Detachements, die dem stehenden 
Heere untergeordnet waren, einzutreten, schwebte mir freilich von dem ersten 
Augenblick an vor; ich freute mich, als General Scharnhorst diesen Gedanken 
unterstützte. „Wir könnten," sagte er, „Sie zwar sogleich in einem Hauptquartier 
anstellen, wo Sie eine mit Ihrem früheren Leben mehr übereinstimmende Tätigkeit 
finden würden, es ist aber gut, daß Sie den Dienst von unten an kennen lernen, 
auch zweckmäßig, daß Sie wenigstens im Anfange des Krieges in der Mitte der 
Jugend leben, die Sie begeistert haben.“ Sogleich forderte er mich auf, mich mit 
einer Bittschrift an Se. Majestät zu wenden, in der ich um Urlaub und um die 
königliche Erlaubnis ersuchte, den Krieg auf eine Weise, wie es Se. Majestät be- 
stimmen würden, mitmachen zu dürfen. Ich war nun beruhigt, und die gewaltige 
Aufregung hatte sich in eine bestimmte und geordnete Tat verwandelt. Das Gesuch 
überreichte ich den Tag darauf dem damaligen Flügeladjutanten des Königs, 
Herrn von Thiele, und einige Tage später erhielt ich ein königliches Schreiben 
folgenden Inhaltes: 
„Ich bezeige Ihnen mein ganzes Wohlwollen darüber, daß Sie nicht nur die 
Zuhörer Ihrer Vorlesungen bei der Universität ermuntert haben, sich jetzt der Be- 
schützung des Vaterlandes gegen die äußere Gefahr zu widmen, sondern sich selbst 
auch diesem rühmlichen Zwecke hingeben. Indem ich Sie zu diesem Ende von 
Ihrem gegenwärtigen Amte bis dahin beurlaube, daß die Umstände Ihnen ge- 
statten, es wieder anzutreten, wünsche ich aufrichtig, daß das Beispiel, in dem Sie 
den Jünglingen in der ernsten Ausübung der Pflichten fürs Vaterland vorangehen 
wollen, wirksam beitragen möge, sie zu deren freudigen Erfüllung anzufeuern. 
Breslau, den 16. Februar 1813. Friedrich Wilhelm.“ 
Ich verlebte die wenigen Tage, die verliefen, bis ich das königliche Schreiben 
erhielt, in großer Unruhe. Die Vorlesungen hatten aufgehört, und ich war den 
unbestimmten Vorstellungen von meiner zukünftigen Tätigkeit preisgegeben. Ich 
brachte diese Zeit desto unangenehmer zu, da ich den Schritt, den ich getan hatte, 
noch immer vor meiner Familie geheim hielt. Nur meinem Schwiegervater hatte 
ich mich ganz anvertraut, er billigte alles und erkannte die Notwendigkeit, nach 
dem, was geschehen war, den Krieg mitzumachen. 
Indessen wurde ich den ganzen Tag von Studierenden bestürmt, nicht allein 
von Breslauern, sondern auch von Berlinern, ja von Gymnasiasten und Jüng- 
lingen jeden Standes. Ich konnte nur ihre Namen aufzeichnen und sie auf die zu 
erwartende königliche Antwort vertrösten. Die Zahl der sich Meldenden überstieg 
schon jetzt bei weitem die für die einzelnen Detachements bestimmte Ich war
	        
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