Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Zweiter Teil. Deutsche, vornehmlich brandenburgisch-preußische Geschichte bis 1815. (2)

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Er ritt nun die Hainstraße herunter, konnte jedoch das Ranstädter Tor nicht 
passieren, denn ununterbrochen ging ein dichter Zug Fliehender durch dieses Tor, 
den auch Napoleon nicht zu durchbrechen vermochte. Er sah sich zur Umkehr ge- 
nötigt und ritt mit seinem Gefolge durch die große und kleine Fleischergasse, die 
Klostergasse, die Burgstraße und Schloßgasse zum inneren Peterstore hinaus und 
dann um die Stadt herum am Schlosse und an Reichels Garten vorüber auf den 
Ranstädter Steinweg, welchen er nur mit Mühe passieren konnte. 
Der dichte Zug der Fiehenden wurde der Stadt in mehr als einer Hinsicht 
nützlich, denn es entfernten sich mit ihm nicht nur viele Verwundete und Kranke, 
sondern dieser Zug machte auch den Franzosen unmyglich, die vielen Zentner 
Pech, die ihnen am 19. früh geliefert werden mußten und mit denen die Häuser 
des Runstädter Steinwegs und Mählgrabens in Brand gesteckt werden sollten, der 
Ab-rlcht gemäß zu gebrauchen. Die Fliehenden rannten die mit den Pechtonnen 
beladenen Wagen an der Postsäule vor dem Ranstädter Tore um, und so blieb 
das Pech zu unserem Glücke denn doch unbenutzt liegen. 
Auch die Sprengung des inneren Grimmaischen Stadttores und alles not- 
wendig damit verbundene Unglück wurde durch bloßen Zufall verhindert. Der bei 
hiesiger Polizei angestellte Leutnant Püschel hatte zufällig bemerkt, daß unter der 
Brücke am Grimmaischen Tore ein ganzer Berg von Patronen und Pulver lag. 
Die nahe schreckliche Gefahr beachtend, sobald nur eine Kugel in das Pulver fiel, 
tat Püschel beim Rathause davon Anzeige, und es wurden eiligst, aber in der 
Stille zwei Chaisenträger mit der Weisung abgeschickt, von der Torwache un- 
bemerkt, von beiden Seiten des Zwingers unter die Brücke zu steigen und den 
ganzen Palvervorrat in den unter der Brücke weggehenden Wassergraben zu 
werfen. Kaum war diese Arbeit beendet, so fielen sehr viele Schüsse auf das 
Geimmaische Tor. 
Dies war auch der Fall in anderen Gegenden der Stadt, und mehrere 
Häuser auch am Murkte wurden durch Kanonenkugeln und Granaten beschädigt. 
Von Minute zu Minute wuchs die Gefahr und unsere Angst; aber es wurde 
nun auch an hiesiger Sladt offenbar: Wenn die Not am größten, ist die Hilfe am 
nählten. Denn ½1 Uhr mittags ertönten die Schlachthörner der Preußen zum 
Geimm#schen Tore herein nach dem Murkte zu, und die auf allen Straßen der 
Stadt wie schrues Wild fliehenden Franzosen dachten an keinen Widerstand mehr. 
Ir frohem G#Fühle ihrer Rettung zollten die Bewohner Leipzigs Gott Millionen 
Freudentränen als Dankopfer. Und um so ungetrübter flossen die Tränen, als sehr 
viele die nahe und große Gefahr nicht kannten, die noch immer über uns schwebte. 
Die Franzosen hatten die Brücke am äußeren Ranstädter Tore gesprengt, und 
wahrscheinlich war dadurch das Feuer veranlaßt worden, das am Ende des Mühl- 
grabens drei Häuser in Asche legte. Im Eifer des Verfolgens der Franzosen 
hatten sich nun aber Kanonen und Pulverwagen auf dem Ranstädter Steinwege 
so verfahren, daß besonders wegen der dort liegenden vielen zerbrochenen Wagen, 
auch wahrer Haufen toter Menschen und Pferde ein Entwirren dieses Knäuels 
unmöglich war, und fiel nur ein Funken aus den kaum zwanzig Schritt entfernt 
brennenden Häusern auf einen Pulverwagen, so war nicht nur die Ranstädter 
Vorstadt, sondern da sich an diesen Knäuel Reihen von Pulverwagen um die 
Stadt herum anschlossen, vielleicht die ganze Stadt verloren. 
Am 20. Oktober früh um 6 Uhr war endlich die Notbrücke am äußeren Ran- 
städter Tore fertig. Die dort stehenden Pulverwagen konnten die Stadt verlassen,
	        
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