Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Zweiter Teil. Deutsche, vornehmlich brandenburgisch-preußische Geschichte bis 1815. (2)

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Wünsche, die durch den Pariser Frieden keineswegs ihrer Erfüllung näher ge— 
bracht, viel weniger schon gänzlich erfüllt worden sind. Die Völker erwarten die 
Erfüllung derselben von ihren Gewalthabern und Fürsten, und der Wiener Kon— 
greß scheint die paßlichsten Gelegenheiten darzubieten, die äußeren Verhältnisse der 
Völker und Staaten also zu ordnen, daß auch die inneren jenen Wünschen gemäß 
eingerichtet werden können 
Also fordern die europäischen Völker jedes seine Selbständigkeit; 
jedes seine Vereinigung zu einem selbständigen und zu einem Ganzen 
verbundenen Staate oder Reichel); jedes seine natürlichen Grenzen?), inner- 
halb deren es sich halten, aber auch nicht leiden will, daß sie durch fremde Staaten 
überschritten werden, oder auch, daß durch die Teilung des von ihnen eingeschlossenen 
Grundgebietes in mehrere miteinander nicht zu einem Ganzen verbundene 
Staaten dasjenige zerrissen wird, was die Natur zur Einheit und zum Ganzen 
bestimmt hat. - 
Zweitens fordern die Wünsche der Völker eine solche Verfassung des Staates, 
wodurch die Zwecke desselben möglichst vollständig erreicht werden können. 
Die Erfahrung aller Zeiten, und am allervollkommensten die der neuesten 
Zeit, hat es zur Genüge bewiesen, daß Staaten von einem Umfange, wie nach 
der jetzigen Größe und den übrigen Verhältnissen der europäischen Völker die 
Staaten dieses Weltteiles sein müssen, unmöglich in republikanischer Form ver- 
waltet werden können; sie hat es bewiesen, daß diese Form unsicher und schwankend 
ist und bald in andere sich verwandelt, erst zur unbeschränkten Herrschaft einiger 
weniger und ihrer Günstlinge und Verbundenen, endlich gewöhnlich zu der eines 
einzigen übergeht; sie hat es bewiesen, wie unruhig eine Republik, wie schrecklich 
eine Aristokratie und wie am allerschrecklichsten die Herrschaft eines Despoten ist, 
der kein anderes Gesetz anerkennt, als seine Willkür, und seine Macht auf nichts 
anderes begründet, als auf die Waffen seiner Soldaten. 
Europa hat es erfahren, daß die beste Staatsverfassung diejenige 
ist, in welcher ein erblicher Monarch, beschränkt durch die Wortführer 
der Nation, nach Gesetzen, welche von diesen gegeben sind, den Staat 
mehr regiert als beherrscht. Nach einer solchen Verfassung sehnen sich alle 
Völker Europas, und die gebildetsten gerade am lebhaftesten und stärksten. In der 
britischen Staatsverfassung ist dasjenige in Wirklichkeit dargestellt, was die Haupt- 
sache und den Grundzügen nach in jeder Staatsverfassung der europäischen Völker 
vorkommen sollte. Jene Verfassung hat auch ihre Mängel, und manches in ihr 
ist auf das Ortliche und Volkstümliche der britischen Inseln gebaut; aber die 
Grundsätze und der Geist, welche in ihr walten und herrschen, die sind es, welche 
alle europäischen Völker für diejenigen Verfassungen wünschen, nach denen sie sich 
sehnen. . .. In ganz Europa wird es jetzt auch anerkannt, daß eine solche oder 
ähnliche durch Repräsentation des Volks und heilige Grundsätze gemäßigte erbliche 
Monarchie die möglichst beste und vollkommenste Verfassung für die jetzige 
Bildungsstufe der europäischen Völker ist. Kein begründetes Urteil ist noch gegen 
sie erschienen; vielmehr stimmen die weisesten Staatsmänner darin überein, daß 
nur in ihr Heil und Sicherheit zu suchen se 
1) Für Deutschland bedeutet das die „Einheit des einen deutschen Reiches und 
Staates“ (wie sie heutzutage besteht). 
ç *) In bezug auf Deutschland fordert der Verfasser, und mit ihm viele Stimmen 
jener Zeit, Elsaß und Lothringen zurück. 
W. u. O. Heinze-Kinghorst, Quellenlesebuch. U. 16
	        
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