Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Dritter Teil. Neueste Geschichte seit 1815 bis zur Gegenwart. (3)

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mationt) in vielen Exemplaren mit sich nehmend, nach allen Stadtteilen sie ver- 
breiten wollend. Es herrschte Ruhe; kein Schuß fiel mehr um diese Zeit. Desto 
unruhiger war es im Schloß; unberufene Leute kamen und gingen, um Rat zu 
erteilen. . . Es mochte 11 Uhr sein. Minister Graf Arnim kam, dem der König 
schon am 18. das Präsidium des Konseils angetragen hatte. — Da kam eine De- 
putation unbekannter Leute (Bürgermeister Naunyn war zugegen), um anzuzeigen, 
daß jenseit der Königstraße drei Barrikaden vom Volke eingeebnet wurden. (Es 
ergab sich späterhin, daß diese Anzeige eine vollständige Lüge war.) Ich schlug 
vor, durch Offiziere die Sache konstatieren zu lassen; es entstand aber sofort eine 
Art Siegestaumel, daß die Befehle des Königs durch die Bürger sofort respektiert 
würden, so daß man mich nicht hörte, obgleich ich noch sagte, daß, wenn das 
Faktum sich bestätigte, natürlich die Truppen von der Stelle, nach dem Wortlaut 
der Proklamation des Königs, zurückgehen müßten. Mit einem Male kam der 
Minister von Bodelschwingh ins Zimmer (Speisezimmer), wo die Deputationen 
vertreten und wir alle versammelt waren, und rief mit lauter Stimme und rotem 
Kopfe: „Da die Barrikaden verschwinden, so befehlen Seine Majestät, daß die 
Truppen von allen Straßen und Plätzen zurückgezogen werden sollen.“ Ich nahm 
sofort das Wort und sagte, das stehe ja im Widerspruche mit den Worten der 
Königlichen Proklamation, wo es nur heißt, daß da, wo eine Barrikade verschwinde, 
die vis-à-vis stehenden Truppen zurückgezogen werden sollten. Der Minister 
donnerte mir aber entgegen: „An den Worten des Königs darf nichts geändert, 
noch gedeutet werden.“ Ich fuhr fort, fragte, ob unter allen Plätzen auch die 
Schloßplätze zu verstehen seien, da dies doch die einzigen seien, wo die rück- 
kehrenden Truppen sich aufstellen könnten. Der Minister Bodelschwingh donnerte 
mir aber nochmals dieselben Worte entgegen und befahl dann: „Und nun laufen 
und reiten Sie, meine Herren, um die Befehle des Königs zu überbringen; die 
Truppen sollen mit klingendem Spiel abziehen.“ — 
Seit dem Moment sah ich den Minister von Blodelschwingh) nicht wieder; es 
waren die letzten Worte, welche er als Minister sprach. Ich suchte den König im 
ehemaligen ersten Zimmer der Gräfin Reden, fand ihn aber nicht, fand aber 
Graf Arnim schreibend; ich fragte ihn: „Wo ist der König? Was machen Sie denn?“ 
Er erwiderte: „Ich formiere das neue Ministerium!“ und ich las die Namen Auers- 
wald, Schwerin. — Ich sagte aber: „Das ist ja ganz wie in Paris, warten 
Sie doch damit noch.“ „Nein,“ war die Antwort, „es ist die höchste Zeit!“ 
Als ich ins Hallenkabinett des Königs trat, fand ich ihn auch dort nicht, 
zurückkehrend ins Speisezimmer, trat er auch eben ein; er sah die allgemeine 
Konsternation, und wir erzählten ihm den Bodelschwinghschen Auftritt. Er ver- 
sicherte, keinen anderen Auftrag und keinen anderen Befehl gegeben zu haben als 
den, der in der Proklamation enthalten sei, und es müßte das sofort noch ge- 
ändert werden. In demselben Moment kam aber schon das Füfilierbataillon 
1. Garderegiments tambour battant über die Kurfürstenbrücke, darauf das vom 
Regiment Alexander, und die Menschenmasse stürzte nach. Der König befahl, die 
Brücke solle besetzt und gesperrt bleiben; es war zu spät und unmöglich. Die 
Truppen rückten auf die Schloßhöfe und auf den Domplatz. Als die Brücke un- 
besetzt blieb, sagte ich zu Arnim: „Nun sind wir verloren!“ Denn ich sah alles 
vorher, was nun folgen würde. 
1) Den Wortlaut dieser Proklamation bringt die 1. Quelle.
	        
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