Full text: Die Stellung des deutschen Kaisers

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wird. Man könnte aus dem blossen Wortlaute der Aus- 
fertigung also schliessen, dass der Kaiser vor Erlass eines 
Gesetzes sich nur der Zustimmung des Bundesrates und 
des Reichstages zu versichern brauche, während er re vera 
als Gesetzgebungsfaktor doch überhaupt nicht in Betracht 
kommt. Gleichwohl lässt sich meines Erachtens die zur 
Zeit gebräuchliche Art der Ausfertigung bis zu einem 
gewissen Grade rechtfertigen, sofern man nämlich unter 
dem Worte „verordnen“ die dem Kaiser verfassungs- 
mässig zugewiesene Tätigkeit versteht, vermittelst welcher 
er das durch Bundesrat und Reichstag geschaffene Gesetz 
als solches — gemäss Art. 2 R.-V. — verbindlich werden 
lässt. Auffallend freilich bleiben die Worte: „Wir ver- 
ordnen“, zumal in Verbindung mit „nach erfolgter Zu- 
stimmung des Bundesrats und des Reichstags“ immerhin: 
Ferner könnte auffallen, dass in der Schlussbemerkung 
der Ausfertigung zwar die an sich gesetzlich nicht vor- 
geschriebene Beidrückung des kaiserlichen Siegels, nicht 
aber die Gegenzeichnung des Reichskanzlers, obwohl diese 
doch zur Gültigkeit der Ausfertigung unbedingt erforder- 
lich ist, gewöhnlich Erwähnung findet. Zudem könnte 
man geltend machen, dass das kaiserliche Insiegel auch 
ohne ausdrückliche Erwähnung als solches erkennbar ist, 
während aus der blossen Namensunterschrift des Reichs- 
kanzlers nicht so ohne weiteres hervorgeht, dass sie eine 
Gegenzeichnung darstellt, wenn freilich auch die Ein- 
gangsworte der Ausfertigung: „Wir Wilhelm Ver- 
ordnen“ schliessen lassen, dass die Zeichnung des Reichs- 
kanzlers als Mitzeichnung nicht in Betracht kommen 
dürfte. Meines Erachtens lässt sich ‘die Nichterwähnung 
der Gegenzeichnung am Schlusse der Ausfertigung wohl 
damit begründen, dass der Kaiser bei der Vollziehung der 
Ausfertigung noch nicht wissen kann, ob der Reichskanzler 
tatsächlich gegenzeichnen wird, während die Beidrückung 
des Siegels und die eigene Unterschrift lediglich vom 
Willen des Kaisers abhängen. 
Man hat nun die Frage aufgeworfen, ob der Kaiser 
allein zur Feststellung der Ausfertigungsworte berechtigt 
sei, oder ob auch der Wortlaut der Ausfertigung
	        
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