V. Kirchen und Staat. 317
Problem von Staat und Kirche zu einer Personenfrage sich zu verengern scheint,
zur Frage des Vorrangs des Kaisers vor dem Papst, in der Dante und Marsilius
von Padua die treibenden geistigen Kräfte, die Träger des Staatsgedankens
sind. Anders wiederum im Territorialismus der protestantischen Staaten Teritorialismus.
des 16. und 17. Jarhunderts, welcher, allerdings im direkten Gegensatz zu den
Prinzipien der Reformation und den Anschauungen der Reformatoren, das
Kirchenwesen im ganzen Umfang seiner rechtlichen Darstellung verstaatlichte
und hierin ein völliges Seitenstück schuf zum kirchenpolitischen System des
einstigen oströmischen Kaiserrechts. Anders und ganz eigenartig endlich
im kirchlichen Staatsabsolutismus der katholischen Staaten des 17. und Staatsabsolutis-
18. Jahrhunderts mit seinen typischen Ausprägungen und geschichtlichen ""
Höhepunkten in der brutalen Willkürherrschaft Ludwigs XIV. von Frankreich,
im kirchlichen Polizeiregiment des Kurfürsten Maximilian von Bayern und in
der systemlosen Autokratie Josephs II. von Österreich. Überall verschieden
und doch überall der gleiche Grundgedanke: die Kirche kein vom Staat unter-
schiedener Lebenskreis, der Staat selbst Träger einer bestimmten Konfession,
daher die Kirche vom Staat nach Art des Staates regiert. Ein einheitlicher Obergänge.
Zeitpunkt für den geschichtlichen Abschluß dieses kirchenpolitischen Systems
läßt sich nicht fixieren. Einzelne Staaten waren ihrer Zeit vorangeeilt. So
Brandenburg-Preußen schon seit dem Großen Kurfürsten. Das Preußische
Allgemeine Landrecht von 1794 bedeutete trotz seines im einzelnen noch aus-
geprägt staatskirchlichen Charakters den ersten grundsätzlichen Bruch. Denn
die Staatsomnipotenz ist bereits gemildert zur Staatsaufsicht. In den anderen
deutschen Staaten beginnt die Abkehr vom Staatskirchentum erst im 19. Jahr-
hundert. Zumeist schon in der kirchenrechtlich überaus bedeutsamen Gesetz-
gebung der Rheinbundszeit. Die Entwickelung vollendet sich in den kon-
stitutionellen Verfassungen. Das Prinzip des Staatskirchentums ist verlassen.
Der Gedanke der Wesensverschiedenheit von Staat und Kirche mit einer
sich darauf gründenden Unterscheidung der Verfassung und Verwaltung ist
eingezogen. Das System der Kirchenhoheit kündigt sich an. Gleichwohl erhebt
sich auch hier die Frage: kommt das System des Staatskirchentums noch
irgendwie für die Kirchenpolitik der Gegenwart in Betracht? Prinzipiell in Modernes
Deutschland sicher nicht. Tatsächlich sehr wohl. In doppeltem Sinne. Es Staatskirchen-
können sich trotz des Bruches mit dem System im ganzen einzelne Reste,
einzelne Einrichtungen ausgeprägt staatskirchlichen Charakters erhalten haben.
Ein Beispiel ist das oben erwähnte Placet. Oder der Staat kann in einzelnen
Maßnahmen der Gesetzgebung und Verwaltung rückfällig werden in das ver-
lassene kirchenpolitische System, indem er die grundsätzliche Schranke der
Selbstbeschränkung durchbricht und störend in das innere Freiheitsgebiet der
Kirche eingreift. Das ist modernes Staatskirchentum. Kein deutscher
Staat kann sich für das Jahrhundert freisprechen von solchen Rückfällen.
Ein vielbeachtetes Beispiel neuerer Zeit bietet die preußische Maigesetzgebung Preußische
von 1873. Kerngesund in ihrem Grundgedanken, an Stelle eines unklaren ee
Freiheitsprinzips der Verfassung (Art. 15) eine spezialrechtliche Regelung