Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

II. Polizei und Kulturpflege. B. Kulturpflege. 461 
die sozialdemokratische Eschatologie ebensowenig in Erfüllung gehen, wie alle 
früheren Prophezeiungen ähnlicher Art. Vielmehr wird der Übergang zum 
öffentlichen Betrieb immer nur für einzelne Produktionszweige aus einem jener 
speziellen Motive, von denen oben die Rede war, erfolgen. Also hinsichtlich 
von Gegenständen, die besonders unentbehrlich sind, wie Kohle, Petroleum, 
Heilquellen, Nahrungsmittel werden Produktion oder Handel aus sanitären, 
militärischen oder anderen Gründen vom Gemeinwesen in die Hand genommen 
werden müssen. In jedem nicht ganz primitiven Kulturzustand wird jedoch 
für den größten Teil der Güterproduktion die private Tätigkeit erhalten bleiben, 
schon deshalb, weil kein wie immer gesteigertes Beamtenpflichtgefühl den 
individuellen Gewinntrieb und die ethisch nicht hoch genug zu bewertende 
karitative Tätigkeit ersetzen kann. 
Auch hat die öffentliche Betriebsform schwere Nachteile, welche ihre An- 
hänger nicht immer genügend würdigen. Hierzu gehört u. a. ihre geringe Ren- 
tabilität und die oft unlösliche Schwierigkeit, den Finanzzweck des Betriebes 
mit seinem sozialpolitischen Zweck in Einklang zu setzen: jener verlangt hohe 
Taxen, dieser niedrige oder gar Unentgeltlichkeit, woraus sich dann die Not- 
wendigkeit ergibt, die Kosten durch Steuern zu decken. Die Raschheit des 
ganzen Prozesses und die ungeheure Zahl der neu zugewachsenen öÖffent- 
lichen Beamten sowie der Umstand, daß die letzteren sich sowohl vom bisherigen 
öffentlichen Beamtentum, als auch von dem Privatbeamtentum, wie nicht 
minder von der Arbeiterschaft unterscheiden, haben Probleme gezeitigt, denen 
sowohl die Staatsmänner wie die Wissenschaft bisher ziemlich ratlos gegenüber- 
stehen. Die Schwierigkeiten, die hier entstanden sind, machen sich in den Re- 
publiken noch viel mehr fühlbar, als in den Monarchien. Denn die Möglichkeit 
so große Massen anzustellen, zu versorgen, zu belohnen, zu bestrafen, zu ent- 
lassen, wie nicht minder die Verfügung über die in den öffentlichen Betrieben 
produzierten Güter bildet eine Verlockung zur Korruption, der ein Staatsmann, 
geschweige denn eine souveräne Partei schwer widerstehen kann. Auch 
ist die richtige Funktion des Parlamentes und anderer Vertretungskörper 
durch ein Eindringen der neuen Beamtenelemente oft ernstlich bedroht. 
Ihre wirtschaftliche Ausstattung, disziplinäre Behandlung, ihre Abgrenzung 
von der Arbeiterschaft des Staates und der Kommunen, das alles ist 
ebenso schwierig, wie die Begrenzung ihres Rechtes der freien Meinungsäuße- 
rung gegenüber den Vorgesetzten, der Benutzung der Vereins- und Versamm- 
lungsfreiheit, der Presse, des Koalitionsrechtes, des Streikrechtes. Das Un- 
sichere und Ungenügende ihrer Lage findet in dem sogenannten ‚„Syndikalis- 
mus‘‘ seinen Ausdruck. So gefährlich für die Volksfreiheit auf der einen 
Seite dieser gewaltige Zuwachs von Leuten ist, die von der Regierung ab- 
hängig sind und so außerordentlich er die Macht der Regierungen zu steigern 
scheint (auch deshalb hatte ja das liberale System die öffentlichen Betriebe 
geächtet!), so unbequem, ja bedrohlich sind auf der anderen Seite die großen 
Organisationen der Beamtenschaft der Macht der Regierungen bereits geworden. 
Diese beiden Gefahren paralysieren sich nicht, wie man glauben möchte, son-
	        
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